Die unwahrscheinliche Reise des Jonas Nichts

Großer Roman von Wieland Freund. Über die wunderbare Macht der Fantasie. Absolute Extraklasse. Ab 12 Jahren

„Die Geschichte geht weiter, ganz für sich. Und so ist es wohl auch mit Claras Spiel…“ (aus: DIE UNWAHRSCHEINLICHE REISE DES JONAS NICHTS)

Wieland Freund ist ein wahrer Lieblings-Kinderbuchmacher von LESEWEIS®. Vielleicht der größte Erzähler, den wir derzeit unter den Romanciers für Kinder haben. Ich nenne ihn gern in einem Atemzug mit Michael Ende — dass er Endes unvollendetes Manuskript vom Raubritter Rodrigo Raubein (wir berichteten) für den Thienemann-Verlag vollenden durfte, spricht für sich. 

© Beltz & Gelberg

Einen beachtlichen Wälzer, einen großartig spannenden Roman voll fantastischer Elemente, hat Freund schon 2007 herausgegeben: DIE UNWAHRSCHEINLICHE REISE DES JONAS NICHTS (Beltz & Gelberg). Dieser Roman um einen Waisenjungen, der unter geheimnisvollsten Umständen plötzlich von Verwandten, von denen er noch nie etwas gehört hatte, ein fulminantes Anwesen erbt und von dort durch einen Schrank im Spielzimmer eine fantastische, doch gefährliche Welt entdeckt, empfehle ich euch auch dreizehn Jahre nach Erscheinen mit allem Nachdruck. Bücher dieser Art vergehen nie. Und nur weil die Verlagswelt so schnell geworden ist mit der Neuproduktion von Mengen an Kinderbüchern, verlieren wir die Perlen der Kinderliteratur nicht aus dem Auge. (Doch das ist eine andere Geschichte…)

Die Kinder des Anwesens, dass Jonas Nichts erbt, sind längst altgeworden, bis auf eine Frau leben sie nicht mehr. Doch diese Kinder in ihrer ländlichen, adeligen Abgeschiedenheit haben einst ein Spiel gespielt. Ein Spiel, das sich als alles andere als harmlos entpuppte. Zunächst gab es nur ein paar Blei-Figuren. Doch in der Fantasie gründeten die Kinder ein Reich mit allem, was dazu gehört. Städte, Burgen, Klöster, Theater, Truppen, Bedienstete, Bauern, Fußvolk — und jeder Menge Geschichten. Dass dieses Reich tatsächlich entstehen würde…, konnten sie das ahnen? Und wie in jeder noch so kleinen Gesellschaft gab es auch hier die Kreativen auf der einen Seite, die Machtgierigen auf der anderen. 

Jonas weiß von all dem nichts, als er von einem Anwalt, der ihn vertritt, und dem stummen Diener Ruben mit der Kutsche abgeholt wird, um von nun an auf dem Herrenhaus Wunderlich zu leben. Von Anfang an scheint das neue Leben dort geheimnisumwittert, steckt ihm Ruben doch heimlich einen Zettel zu, auf dem steht: „Egal, wer dich fragt! Du bist nicht 12. Du bist 13!“ Im Haus lastet Jonas’ Schicksal schwer auf ihm. Die wenigen noch hier lebenden Bewohner sind ihm schlecht gesonnen, außer Ruben und der Köchin. Er merkt schon bald, dass diese beiden ihn beschützen. Jonas findet eine kleine Figur, die ihn magisch anzieht. Fast zu spät merkt er, in welche Gefahr er durch sie gerät. Er flüchtet sich in das ihm verbotene Spielzimmer und findet dort den Weg in ein Land, von dem er nicht zu träumen gewagt hätte. Niemand weiß zu diesem Zeitpunkt, dass das Land genau auf ihn gewartet hat. Ob Jonas der Zerstörung dieses fantasievollen Reichs entgegenwirken kann, das steht nicht in den Spielregeln. 

Doch dass einer, der in beiden Welten zuhause ist, auch beide Welten heilen kann, die wirkliche und die der Phantasie, das hat uns schon Michael Ende in der Unendlichen Geschichte verraten.

„Sie waren ja schlimmer dran als er, so ganz ohne Namen!“ 

(aus: DIE UNWAHRSCHEINLICHE REISE DES JONAS NICHTS)

Ein absolut spannender, großartig geschriebener Roman für Jungen und Mädchen ab etwa 12 Jahren. Ein Unendliche-Geschichte-Buch, wie wir das bei LESEWEIS® gern sagen: Eine der möglichen weiteren Geschichten, die aus dem Reich der Phantasie erzählt werden. Für Literatur-Freaks auch noch eine megaspannende Besonderheit: Vielleicht wisst ihr ja von den Geschwistern Brontë, die sich im windzerzausten Yorkshire eines Tages begannen, eine Geschichte zu ihren Zinnfiguren auszudenken. Eine Geschichte, die die Kinder, von denen drei später Autorinnen werden sollten (Anne, Emily und Charlotte), in winzigst kleinen Büchern aufschrieben, die bis heute nicht gänzlich entziffert sind. Diese „Erzählungen aus Angria“ der Brontë-Kinder waren Freunds Vorbild für seine Geschichte des Jonas Nichts. Eine Lesereise wert!

Wieland Freund: DIE UNWAHRSCHEINLICHE REISE DES JONAS NICHTS

Beltz & Gelberg. 2007. 520 Seiten. ISBN: 978-3-407-79925-8

Ab 12 Jahren