Buchreihe für clevere junge Damen
Die junge LESEWEIS®-Rezension von Antonia, 15 Jahre.
ENOLA HOLMES — Band 2: „Die linkshändige Lady“ Die geniale Reihe um Sherlock Holmes’ Schwester geht weiter. Spannend, rasant und dabei aufrichtig und innig. Für Leserinnen mit Rückgrat. Ab 13 Jahren
Es kommt nicht oft vor, dass Band 2 einer Reihe noch besser ist als Band 1. Doch „Die linkshändige Lady“ fasziniert tatsächlich noch mehr als der Anfang der Geschichte um Sherlock Holmes’ jüngere Schwester. Sie fällt auch eher in das Genre „Krimi“, da Enola sich nun explizit um Fälle kümmert. Und zwar auch dieses Mal um jemanden, der offenbar aus seiner gesellschaftlichen Rolle geflohen ist. Das scheint überhaupt das große Thema der Reihe zu sein, die Ende des 19. Jahrhunderts spielt, als Frauen und Mädchen noch so sehr um ihre Rechte kämpfen mussten.
Noch immer versteckt sich Enola in London. Sie hat mittlerweile drei verschiedene Identitäten angenommen, um von ihrem genialen Detektiv-Bruder nicht aufgespürt und zurückgepfiffen zu werden. So arbeitet sie beispielsweise als Sekretärin in einem Büro, dessen Chef es sich zur Aufgabe gemacht hat, Verlorene wiederzufinden. Wer die raffinierte Ich-Erzählung durchschaut, merkt schnell, dass dieser angebliche „Chef“ stets auf Reisen ist und seine ebenso angebliche „Sekretärin“ alle Fäden in der Hand hält. Enola ist diejenige, die Menschen hier professionelle Hilfe anbietet, um Vermisste wieder zu finden. Tragischerweise kommt ausgerechnet Dr. Watson zu ihr, der sich um seinen Freund Sherlock sorgt, weil dieser seine kleine Schwester vermisst… Was für eine Verwicklung! Doch Watson erkennt Enola nicht.
Enola nimmt sich derweil dem Fall der verschwundenen Lady Cecily an, die angeblich mit einem jungen, unstandesgemäßen Kaufmann getürmt ist. Ein Fall, der mit äußerster Diskretion behandelt werden muss. Enola merkt sehr bald, dass hier etwas nicht stimmen kann. Denn sie schaut genau hin und merkt, dass es sich bei Lady Cecily, die kaum älter sein dürfte als sie selbst, nicht um ein leichtgläubiges, adliges Püppchen gehandelt haben kann. Sie findet Kohlezeichnungen der Lady, auf denen sie Arbeiter und Menschen in Armut porträtiert hat; außerdem ihre Tagebücher, die in Spiegelschrift geschrieben sind. Enola entdeckt schon in diesen Spuren, dass sie nach einer Seelenverwandten sucht. Sie spürt, dass es sich bei Cecily auch um eine Rebellin handeln muss, die vielleicht genau wie sie freiwillig „verschwunden“ ist.
Auch Enola zeichnet. Wann immer sie nach einem Vermissten sucht, fertigt sie nach den Beschreibungen Porträts der Gesuchten an — und kann sie darüber finden. Als könnte man Menschen eben nur dann finden, wenn man bis ins Detail herausfindet, wer sie sind.
Die Geschichte spitzt sich rasant zu. Der junge unstandesgemäße Kaufmann entpuppt sich als gewiefter Hypnotiseur, es kommt zur Verfolgungsjagd, zu Verletzungen, die Enola ausgerechnet Dr. Watson und ihrem Bruder Sherlock in die Arme treiben, doch erneut kann sie fliehen. Was ihr schwerfällt, weil sie spürt, dass ihre Geschichte mit Lady Cecily noch nicht zu Ende ist… Ja, die Reihe ist spannend und rasant, zeitgleich aber auch aufrichtig (Enolas Charakter) und innig. Die Momente, in denen Enola zeichnet oder nach den codierten Nachrichten ihrer Mutter an sie in Zeitungsannoncen sucht oder aber als stumme Nonne der Straße (eine weiteren ihrer neuen Rollen) den Armen Londons beisteht, sind mit die schönsten Stellen um Buch. Einem Buch, einer Reihe, die mehr ist, viel mehr als nur ein Krimi.
Nancy Springer
ENOLA HOMES. Bd. 2 Der Fall der linkshändigen Lady
Aus dem Amerikanischen übersetzt von Nadine Mannchen. Knesebeck Verlag. 2019. Hardcover, 206 Seiten. ISBN 978-3-95728-261-3
Hier geht es zu weiteren Bänden der Reihe: http://leseweis.de/?s=Enola+Holmes