Krakonos

Meisterwerk von Wieland Freund! Futuristische Suche nach den verborgenen Spuren mythischer Wesen. Absolute Extraklasse. Ab 12 Jahren — und auch so richtig was für Jungs!

© Gulliver

„Das war es. Wenn Emma an Krakonos dachte, dann spürte sie, was es hieß, am Leben zu sein.“ (aus: KRAKONOS)

Was ich von LESEWEIS®-Lieblingskinderbuchmacher Wieland Freund lese, das liebe und lobe ich über den grünen Klee. Mit KRAKONOS hat sich der Autor meines Erachtens noch einmal selbst übertroffen. Ein rasanter, verschlungener, unglaublich klug gewebter Roman, der ein kleines Stückweit in die Zukunft der Menschheit und zugleich zurück zu den Anfängen allen Lebens führt. Großes Abenteuer für Kids ab 12 Jahren und alle Leser, die gern an die fantastischen Wesen des Kleinen Volkes glauben. In famos guter Sprache.

Hier hebt eine Geschichte ab, mit gewaltigen schwarzen Schwingen, ohne auch nur einen Moment den Boden unter den Füßen zu verlieren. Fantastisch und zeitkritisch zugleich.

Einen eigenen Wissenschaftszweig hat Wieland Freund für diesen Roman erfunden — und ich würde mir wünschen, dass er ihn nicht bloß erfunden hat. Sondern dass es Mythobiologen wie die junge Studentin Emma O’Lynn wirklich gäbe. Sie kümmern sich weltweit unter absoluter Geheimhaltung um Wesen, deren Existenz Realisten aller Sorten unbedingt leugnen oder doch auf jeden Fall verheimlichen wollen. Es geht um „phantastische (Tier- und andere)Wesen“, könnte man sagen, unser Autor nennt sie Gestaltenwandler oder aber Innerirdische — und er greift dabei auf uralte Sagen- und Mythengestalten, Dämonen und Elementargeister zurück. Die meisten haben sich vor der Menschheit längst ins Verborgene geflüchtet, sind dahin zurückgekehrt, wo sie sicher sind: ins Innere der Erde. Mythobiologen versuchen die wenigen, die es auf der Welt noch gibt, in aller Heimlichkeit zu schützen; Spezialdienste des SEK hingegen sorgen auf ihre Methode dafür, dass Zusammenstöße von Menschen und Innerirdischen unter allen Umständen vermieden werden. Urmenschliches deckt Freund dabei in seinem fantastischen Roman auf, wenn zwei Institutionen, die sich um das Gleiche kümmern sollen, tatsächlich gegeneinander arbeiten. Während es den einen um Erhalt und Rettung unwiderbringlicher Spezies geht, sinnen die anderen auf Ausrottung und Vernichtung. Stein des Anstoßes ist in dieser Geschichte die uralte Figur des Rübezahls, eines außerordentlichen Gestaltenwandlers, der eines Nachts aus einem Felsen aufbricht, in dem er sich 30 Jahre lang verborgen hatte. Ein anderer Name des bekannten Riesen: Krakonos.

Doch der Roman erzählt uns nicht bloß von Rübezahls Flucht vor Sondereinsatzkommando und Mythobiologie, sondern darüber hinaus die Geschichte zweier Brüder, 10 und 13 Jahre alt, die in einer hypermodernen „Akademie“ in Berlin aufwachsen. Hier leben Kinder von Mitarbeitern eines Softwareunternehmens. Sie schlafen in wabenartigen, ultramodernen, sterilen Kunststoffwaben, bespielt und unterrichtet werden sie von Computerprogrammen. Luxuriös und sauber, jedoch abgeschottet von jeglicher natürlicher Umgebung. Ihre Eltern können dank dieser Einrichtung rund um die Uhr arbeiten. Ihre Kinder sind untergebracht…

Nik, der Ältere, spürt, dass sein jüngerer Bruder Levi, in dieser abgeschotteten Welt nicht klarkommt. Nicht, weil ihm die Eltern fehlen; die hat der Junge schon lange aufgegeben. Er hat vielmehr seltsame Träume und immer wieder zieht es ihn nach draußen. Levi ist verzaubert, wenn er nur einen Vogel oder eine Ratte aufspürt. Und dann empfängt er – ohne Handy – Signale… Levi spürt Krakonos kommen, obwohl er von dessen Existenz nichts weiß. Und tatsächlich führt Krakonos’ Flucht aus dem Riesengebirge ihn genau zu der Berliner Akademie, in der Nik und Levi ihre Kindheit fristen. Das SEK trifft im selben Moment dort ein — und eine unglaubliche Geschichte nimmt eine rasante Entwicklung. Selten habe ich in letzter Zeit bei einem Jugendbuch so sehr dem Ausgang entgegengefiebert; und noch seltener hat mich das Ende so glücklich gemacht. Nur so viel sei verraten: Man spürt schließlich, was es heißt am Leben zu sein.

Wieland Freund: KRAKONOS

Guliver. 2020. Mit Illustrationen von Hans Baltzer. Taschenbuch. 296 Seiten. ISBN: 978-3-407-74989. Ab 11 Jahren

LESEWEIS® empfiehlt ab 12 Jahren

#LESEWEIS_Tier_des_Jahres_Vögel

In seiner Gestalt als Rabe Krakonos ist Rübezahl natürlich beeindruckend. Besonders schön ist aber auch die Szene des Kranich-Tanzes, die auf der Flucht von Nik, Levi und Krakonos vorkommt. Ich kenne sonst nur Selma Lagerlöfs NILS HOLGERSSON als Kinderbuch, in dem der faszinierende Hochzeitstanz der Kraniche beschrieben ist.