Das Geheimnis der Weihnachtswichtel

Dem Anderen seinen Respekt zollen, auch darum geht es eben in den „geschenkten Tagen“, wie die Zeit der Raunächte früher auch genannt wurde.  Zum Anderen gehören aber eben nicht nur die anderen Menschen, die man in dieser Zeit ja oft reichlich beschenkt und mit denen man spielt, singt und feiert. Es gehören, wie gesehen, auch die Tiere hinzu, denen wir wenigstens in dieser Zeit einmal respektvoller, ebenbürtiger gegenübertreten sollen. Und ebenso gilt die respektvolle Aufmerksamkeit in jener Zeit auch geheimnisvolleren Wesen wie den Mitgliedern des Kleinen Volkes, zu denen Kobolde, Feen, Zwerge, Elfen und Wichtel gehören. Für die Menschen früherer Zeit gehörten diese kleinen, meist freundlich gesinnten Naturgeister zum eigenen Leben selbstverständlich hinzu. Und ebenso selbstverständlich war es, sie zu achten, zu ehren, sich dankbar ihnen gegenüber zu erweisen, ihnen eben den gebührenden Respekt zu zollen. 

Ellermann-Verlag

Sven Nordqvist, der nicht nur Pettersson und Findus, sondern mit den Mucklas auch eine ganz neue Art des Kleinen Volks erfunden hat, erzählt in dieser bereits 1986 entstandenen Weihnachts-Erzählung von einem Hauswichtel und seiner Familie, die verborgen auf dem großen Hof einer Menschenfamilie leben. Selbstverständlich erwartet der stolze Wichtelvater an diesem Weihnachtsabend wieder die Schüssel mit Reisbrei, die man in Skandinavien seinem Hauswichtel seit Ewigkeiten am Weihnachtsabend hinstellt: als Dank dafür, was die Wichtel im Laufe des Jahres alles für den Hof, Mensch und Tier getan haben, und um sie für das kommende Jahr auch nicht zu erzürnen. Eine typische Raunachtsgeste. Die Wichtelmutter sieht in dieser Geschichte nun aber vorher, dass die Menschen, die mit derlei Bräuchen immer nachlässiger geworden sind, an diesem Weihnachtsabend die Schüssel mit dem Reisbrei für den Wichtelvater vergessen werden. Dies allerdings würde den großen Zorn ihres Mannes auf die Menschen heraufbeschwören… und welch große, auch unheilvolle Zauberkräfte das Kleine Volk entwickeln kann, wenn es gekränkt wird, das wissen manche von uns vielleicht noch aus den alten Märchensammlungen. Die Wichtelmutter handelt umsichtig – mit Mensch und Wichtel. Sie spannt ihrer zwei ältesten Kinder heimlich in ihren Plan ein, in dem sie alles daran setzt, dass die Menschen die Schüssel mit dem Reisbrei doch noch mit dem Wichtel teilen. Ein turbulentes Schaffen-wir-es-noch-rechtzeitig-Abenteuer beginnt, das am Ende einen Wichtel befriedigt und einer Menschenfamilie die Augen öffnet. 

Ich habe dieses Buch sicherlich hundertmal vorgelesen – Gruppen von Zuhörern und einem oder zwei Kindern allein. Immer, immer wieder, es verliert nichts an seiner Zauberkraft, seinem Humor und seiner Freude, wozu neben der Geschichte natürlich auch die köstlichen, am Rande immer auch wimmeligen Bilder beitragen. Wenn ein moderner Autor/Illustrator noch weiß, dass unsere ganz normale Welt viel belebter ist, als wir uns das heute meist so trist vorstellen, dann ist es der Schwede Sven Nordqvist.

Sven Nordqvist: DAS GEHEIMNIS DER WEIHNACHTSWICHTEL

Ellermann, 2006. Übersetzt von Maike Dörrie. ISBN 978-3-7707-5362-8. 28 Seiten. Ab 4 Jahren. 12,00 €