Was ist, kann nicht verschwinden

Das LESEWEIS®-Tier des Jahres (2018)

Mit diesem aus dem hebräischen übersetzten Buch habe ich endlich mal ein Buch für 13-15-Jährige entdeckt, das ich richtig gern als Schullektüre empfehlen würde. HALT! Bitte trotzdem und auf jeden Fall weiterlesen, denn diese Geschichte ist vor allem eine berührende und außergewöhnliche, eine schöne Geschichte. Dazu muss ich sagen: Ich mag vieles gar nicht, was in Klasse 7-10 an Schullektüre gelesen wird. Doch wie ihr wisst, zerreißt LESEWEIS® keine Titel, sondern bejubelt Alternativen. Und hier ist eine besonders schöne. Ich habe WAS IST, KANN NICHT VERSCHWINDEN übrigens nur deshalb entdeckt, weil ich seit ein paar Jahren stets ein Tier zum LESEWEIS®-Tier des Jahres erhebe und so auch zu Büchern greife, die ich sonst vielleict eher nicht bemerken würde. 2018, unser Schafjahr, ist zwar schon gelaufen, aber ein paar Schaf-Bücher möchte ich euch diese Woche noch nachtragen. Und dieses Buch hier ist ein Schatz, das ich als Lehrerin sofort mit meinen Schülern lesen würde, in Klasse 8 oder 9.

Beltz & Gelberg

Nun aber richtig zu dem Roman von Amalia Rosenblum, den Mirjam Pressler gekonnt wie immer übersetzt hat. Warum halte ich ihn für ein tolles Buch für junge Leserinnen und Leser? 
Genau – er spricht schon mal beide an, denn sowohl ein junges Mädchen als auch ein Junge spielen je eine Hauptrolle. Jedoch gibt es da noch eine dritte Hauptfigur – gibt es sie wirklich? – und das ist ein Schaf. Ein altes Schaf, das Ich-Erzählerin Lilly rein zufällig rettet und dann herausfindet, dass sie mit ihm reden kann. Die Schafdame gibt Zeichen für Ja und Nein, hebt je nachdem rechtes oder linkes Ohr. Lilly ist begeistert, denn in der Krise, in der sie sich gerade befindet, ihre Eltern haben sich getrennt (damit wären wir bei einem offenkundigen Kriterium für Schullektüre), braucht sie klare Antworten. Die ihr offenbar nur das Schaf geben kann. Hier wird die Story besonders, das brauche ich gar nicht erst zu erwähnen, eben auch lustig und abenteuerlich. Und natürlich auch ein Stückweit tragisch. Denn die Schafdame will natürlich erst einmal zu Lilly nach Hause geschmuggelt sein, sie braucht Futter und sie köttelt. Ja, es gibt sie wirklich. Das Schaf ist echt. Und genau deshalb muss Lilly zu Maßnahmen ergreifen. Ihre Eltern taugen dafür derzeit nicht; ihre Lügen und Verstrickungen führen dazu, dass auch Lilly anfängt sich in Geschichten zu verstricken. Lilly ist ein hochbegabtes Mädchen, die gern in die Schule geht, Denksportaufgaben mit Freunden löst, den Weltraum erforschen möchte und mit Freuden hochkomplexe Matheaufgaben löst, was nicht nur daran liegt, dass sie ein bisschen in ihren Mathelehrer verliebt ist. Wie schön, wenn der Held eines Buchs mir Lust auf das Wissen dieser Welt macht! Ist das nicht eine Option. Ein Jugendbuch mit Ausblick…?
Den Gegenpart zu Lilly gibt es auch: Sohar, der von der Schule zwar getürmt ist, sich aber als guter, lebenserfahrener Freund erweist, der Lilly nach und nach aus ihrer Traumwelt herausholt, in der ein Schaf die Ehe ihrer Eltern retten soll. Sohar hat das Leben schon von vielen Seiten gesehen (mit Schafen allerdings hat auch er noch nie zu tun gehabt), es fehlt nicht viel und man könnte ihn einen Jungen von der Straße nennen – doch ist er auch Künstler. Er entwirft fantastische Motive und lässt sich von einem Tätowierer mehr oder weniger ausbilden. Nicht nur er steht Lilly zu Seite, es kommt der Moment, da auch er sie braucht.

Die Themen, über die man bei diesem Buch diskutieren kann, nehmen schier kein Ende. Sie reichen von Scheidungsdrama, Älterwerden und dem Brechen von Familienregeln über Verlustängste, Zukunftspläne und Tatoos bis hin zu faszinierenden Fragen aus der Welt der Zahlen. Und durch all diese Themen stakst ein altes Schaf, käut wieder und hebt mal das linke, mal das rechte Ohr. Wer bräuchte auch nicht hin und wieder ein dickes, weiches, warmes Knäuel, um darin zu verschwinden – gerade wenn man gerade dabei ist, erwachsen werden zu müssen?

Amalia Rosenblum: WAS IST, KANN NICHT VERSCHWINDEN. 
Aus dem Hebräischen übersetzt von Mirjam Pressler. Beltz&Gelberg, 2018. ISBN 978-3-407-75430-1. 374 Seiten. Ab 13 Jahren.