Winterroman.
Herzenswarm und bitterkalt, dazu mitreißend schräg ist diese wundervolle Erzählung für Kinder. Die Geschichte spielt in unserer Zeit in einer Kleinstadt nahe Cincinnati und ist ein modernes Märchen mit äußerst überraschendem Ausgang. Keine Dickens’sche Gerechtigkeit, keine Burnett’sche Rührseligkeit, wie Cover und Titel vielleicht vermuten ließen. Sondern die Geschichte eines hungrigen, frierenden Jungen, der aus einer übergroßen, entsetzlichen Familie stammt, wo (beinahe) keiner Zeit für den anderen hat. Und dieser Junge wird ausgerechnet am Heiligen Abend mittags mittels Stromstoß über den Zaun einer Villa geschleudert, in dem eine superreiche Familie wohnt.
Sie laden ihn zum Essen ein, doch das ist auch schon so ziemlich das einzige, was erwartbar war. Alle weiteren Ereignisse verblüffen nicht nur den zehnjährigen Rupert, sondern auch uns Leser.
„Charlie und die Schokoladenfabrik“ oder „Eine Reihe unglücklicher Ereignisse“ klingen an, was das Buch neben allen verrückten Abenteuern zu einer feinen Sozialkritik macht. Wir lesen uns hungrig durch die Seiten, die uns von Weihnachten weg durch einen lausigen Januar und einen noch lausigeren Februar führen, und blättern in der Hoffnung auf einen einzigen saftigen Hamburger immer begieriger um. Ein Lesevergnügen der ganz eigenen Art. Das Ende macht dann schließlich einfach glücklich. Woran ein Hamburger jedoch nur einen geringen Anteil hat.
Rupert, der kleine Held der Geschichte, brilliert durch Höflichkeit, Bescheidenheit und Freundlichkeit. Was angesichts der Begegnungen, die er hinnehmen muss, eine denkwürdige Leistung ist. Damit ist er für mich eine leseweise Figur schlechthin. Man kann sein Herz an ihn verlieren. Und das hab ich auch.
Polly Horvath: Super Reich Aus dem Englischen übersetzt von Anne Brauner. Verlag Freies Geistesleben, 2020. 294 Seiten. ISBN 978-3-7725-2894-1. Ab 9 Jahren.