Sommerhaus am See

Ein Sommerhaus am See. Und seine wahre, berührende Geschichte. Ein Bilderbuch, das ins Mark trifft. 

„Am Stadtrand von Berlin, direkt am Ufer eines Sees, steht ein kleines Holzhaus. Es wurde vor beinah einhundert Jahren von meinem Urgroßvater gebaut…“ – Thomas Harding

© Jakoby & Stuart

Ich bin immer wieder tief beeindruckt, wie stark ein Bilderbuch uns ansprechen kann. Wir müssen dazu kein Kind sein. Künstler:innen wie Britta Teckentrup schaffen Bilder, die aus einer solchen Seelentiefe erzählen, dass die Geschichte auch bei uns tief anklopft. Als schauten wir einen Film, mehr noch, als wären wir unmittelbar dabei — in den allerwichtigsten Momenten. Bilder, die uns nicht mehr loslassen. So geht es mir mit Sommerhaus am See, aus dem ich ein Stück verändert wieder auftauche.

Es ist die wahre Geschichte eines kleinen Hauses außerhalb Berlins, die Britta Teckentrup (eine von LESEWEIS®-Lieblings-Kinderbuchmacherinnen) so warm und atmosphärisch illustriert hat, dass man sich in den Bilder verlieren kann. Zugleich rüttelt uns die Geschichte wach, die Thomas Harding in wenigen Worten erzählt. Schatten, Feuer, Rauch, Dunkelheit und Kälte strömen aus manchen der Bilder. Die Geschichte dieses Hauses, das geliebt und bewohnt wird in den schönsten Tagen des Sommers, ist wechselhaft — nicht nur einmal muss es verlassen werden. Gewaltsam. 

Immer wieder im Laufe seine Häuserlebens mussten die rechtmäßigen (und andere) Bewohner das Haus, das ihnen Freude und Schutz geboten hatte, zurück lassen. Das Haus wurde verletzt, zerstört, wucherte zu, dann wieder richtete jemand es her, ließ es wieder aufleben. Und wieder folgte Ausgrenzung, Weggang, Verfall. 

Thomas Harding, dessen Urgroßvater das Haus baute, bevor er mit seiner Familie vor den Nazis nach London fliehen musste, hat das Sommerhaus am Rande Berlins gesucht, hat es schließlich gefunden, seine Geschichte auf beeindruckende Weise recherchiert und hier nacherzählt. Eine Geschichte von Vertreibung. Von Flucht. Von Zuflucht und Rückkehr. Eine Geschichte vom Mauerbau. Von Ausgrenzung und Spionage. Doch auch eine Geschichte von Geborgenheit, von Sommerfreuden, von Familienleben — und von einem Erinnern, das zum Wiederaufbau führt. 

Heute steht das Sommerhaus wieder so bunt und liebevoll am See, wie es einst der jüdischen Arzt Alexander für seine Familie als Wochenendhaus errichtete. Der warme Sonnenschein — das steigt aus Britta Teckentrups Bildern zu uns auf — hat dem Haus sein altes Leben wieder übergezogen. Seine Türen wieder geöffnet. Luft und Licht sind wieder da. 

Bilder, Geschichte und Buch fühlen sich an wie ein wunderbar Sieg über das Böse. Weshalb dieses Bilderbuch ein Buch für alle Menschen ist. Kleine und Große. Zur Erinnerung daran, dass das Gute am Ende das Starke ist.

Thomas Harding, Britta Teckentrup: SOMMERHAUS AM SEE
Verlag Jakoby & Stuart, 2020. 44 Seiten. ISBN 978-3-96428-053-4.

Autor Thomas Harding erzählt bei der BBC, wie es dazu kam, dass er das Haus seines Urgroßvaters wieder suchte, entdeckte und rekonstruierte. Ein kurzer bewegender Beitrag.