Es gibt Dinge, die kann man nicht erzählen

❤ LESEWEIS®-Lieblingskinderbuchmacherin Kirsten Boie ❤

ES GIBT DINGE, DIE KANN MAN NICHT ERZÄHLEN:

Unfassbar. Traurig. Wichtig.

Ja, es gibt Dinge, die kann man eigentlich nicht erzählen. Man möchte sie nicht erzählen, weil sie zu schrecklich sind, um überhaupt wahr sein zu dürfen. Doch gerade weil sie wahr sind, erzählt die große Erzählerin Kirsten Boie sie dennoch. Und es ist gut, dass sie es tut.

Dieses schmale Bändchen mit den eindrucksvollen schwarzbraunen Illustrationen von Regina Kehn beinhaltet vier Geschichten, die Kirsten Boie von ihren engagierten Reisen nach Swasiland im Süden Afrikas mitgebracht hat. Von dort hat sie für unsere Kinder auch Thabo mitgebracht, den jungen, afrikanischen Gentleman-Helden, der aus beidem, dem Leid und der abenteuerlichen Schönheit seines Landes, und obendrein aus seiner Sehnsucht nach einem besseren Leben, auf berührende wie spannende Weise das Beste macht. Thabo ist ein Kinderliteratur-Held, der uns berührt und uns auf’s Beste unterhält. Die Erzählungen dieses Büchleins hingegen hat die Wirklichkeit erzählt, tausendfach. Kirsten Boie hat sie aufgeschrieben, vierfach, doch das genügt, um an uns zu rütteln.

Das Leben in Swasiland ist dem Tod und der Grausamkeit des Lebens so schrecklich nah, dass man davor am liebsten die Augen verschließen würde. Doch genau das lässt eine Frau wie Kirsten Boie nicht zu. Sie hat das Leid gesehen, sie kann von Kinderfamilien erzählen, die in größter Armut zusammen halten, weil ihre Eltern tot sind. Nirgendwo ist AIDS so verbreitet wie in Swasiland. Die Eltern sterben viel zu früh. Manchmal gibt es eine Gugu, eine Großmutter, die sich um die Kinder kümmert. Ältere Geschwister müssen viel zu schnell groß werden, sich kümmern, für die Jüngeren sorgen. Ein bisschen Geld verdienen, in dem sie sich Männern verkaufen. Die Schule aufgeben, um das nackte Überleben auch nicht annähernd zu sichern. Und über allem schwebt die Wolke der Traurigkeit und der Angst vor der tödlichen Krankheit.

Zurückgelassen wurden die Kinder in diesen Geschichten. Vom Schicksal, vom Leben, von den Menschen, die sie lieben. Die erkrankten Mütter Swasilands werden angehalten Memory-Books für ihre Kinder zu gestalten, damit es irgendetwas gibt, das ihre Kinder an sie erinnert, woran sie sich ein bisschen klammern können, wenn sie selbst nicht mehr da sind. Auch davon wird hier erzählt.

Stumpf, kalt und zugleich warm lassen uns die Dinge, die man nicht erzählen kann, zurück. Warm, weil sie uns durch den schlichten Stil der Autorin hier so nahe kommen. Man kann sie erzählen. Und man muss. Ich hoffe, sie werden erzählt, in Schulen, in Lese-Klubs, in Familien. Sie werden jungen Heranwachsenden unseres Landes in die Hand gegeben. Denn wir sind die Menschen, die helfen müssen. Das aber regt sich in uns nur, wenn die Dinge erzählt werden, wenn wir von den Dingen erfahren, die man eigentlich nicht erzählt bekommen möchte.

Wie gut, dass Kirsten Boie es dennoch tut.

Kirsten Boie: ES GIBT DINGE, DIE KANN MAN NICHT ERZÄHLEN. Oetinger Verlag, 2013. #_ISBN_978_3_7891_2019_0. 112 Seiten. Fester Einband. LW_Ab_14_Jahren. 12,95 €

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