Verstehe einer den Menschen!
Dieses Bildersachbuch für Leute ab 8 Jahren hilft uns dabei, uns selbst als homo sapiens einzuordnen, als Mensch mit aufrechtem Gang, als Mensch, der vom Klimawandel beeinflusst wird, als Mensch, der mit anderen seiner Art agiert, der Medizin nutzt, über sich selbst nachdenkt und sich womöglich sogar noch weiterentwickelt. Eine super spannende Spurensuche!
Dies ist eins der besten Kinderbücher zum Thema Evolution. Anders als der Titel vermuten lässt führt es von den frühesten Verwandten des Menschen bis in unsere Zeit und gewährt sogar einen vorsichtigen Blick in die Zukunft des Menschen. Wobei der Neandertaler erst knapp vor Buchmitte auftaucht, was zeigt, wie viel schon davor in der Entwicklung des Menschen geschah und wie rasant die Entwicklung von da an weiterging. Das Buch erzählt unsere Geschichte in kleinen, prägnanten und gut verständlichen Abschnitten, die reichhaltig und farbig illustriert sind. Es wird keinen Augenblick langweilig und erhellt eine Geschichte, die zu den komplexesten und undurchsichtigsten überhaupt gehört: Wie war es möglich, dass wir wurden, was wir sind?
Nicht nur Ausgrabungen helfen den Menschen heute ihre eigene Geschichte zu verstehen. Sondern auch Röntgenverfahren, Computertomografie und DNA-Analysen. Letztere benötigen manchmal nicht mal einen Skelettfund. Untersuchungen von Höhlensand fördert menschliche DNA zutage, die aus Blut- oder Kotresten stammen könnte. Die Wissenschaft entwickelt ebenfalls beständig weiter.
Ganz richtig beginnt das Buch mit Eichhörnchen- und Baumrattenähnlichen Wesen, mit denen wir mehr gemeinsam haben als beispielsweise mit einer Giraffe. (Als Kinderbuchfrau frage ich mich, ob wir unbewusst so viele Mäuse, Ratten, Meerschweinchen und Eichhörnchen in Kinderbüchern als menschenähnliche Figuren auftreten lassen, weil sie tatsächlich „nahe Verwandte“ von uns sind? Spielen Obstbäume in so vielen Kindergeschichten eine tragende Rolle, weil sie sich in Symbiose mit unseren Vorfahren entwickelt haben? Unsere Vorliebe für Obst, ja die Notwendigkeit zur äußeren Vitamin-C-Aufnahme hat unseren Vorfahren das ausgeprägte Farbsehen beschert.) Alles faszinierende Erkenntnisse, die in diesem Buch wunderbar klar vermittelt werden. Ein Klimawandel trieb uns aus den Wäldern, die damals rar wurden, und die Menschen stiegen um auf Fleisch und Jagd in den Savannen. (Die Sehnsucht nach dem Wald ist uns geblieben, auch im Kinderbuch…) Doch alles, was uns nicht umbrachte, förderte unsere Entwicklung. Und so führt uns das Buch zu den ersten Werkzeugmachern, den ersten Teamplayern, den ersten Feuerlegern und erst spät zu den Beherrschern des Feuers. Homo habilis, der geschickte Mensch legte eine unglaubliche Entwicklung hin. Und so erzählt dieses spannende Buch von Haustieren, Dörfern, Städten, Sprache, Schrift, Muschelgeld, ersten Karten, von Medizin, Schmuck und Kunst.
Die Ausblicke in die Zukunft des Menschen bleiben mit Fragezeichen versehen und fordern die jungen Leser:innen zum eigenen Weiterdenken auf. Was abenteuerlich werden dürfte, wenn man dieser Spurensuche bis heute eifrig gefolgt ist.
Großartige Sachlektüre, die ich mir als mal andere Klassenlektüre in Klasse 4, 5 oder 6 wünschen würde, die in Steinzeitmuseumsshops zur Weiterführung und Intensivierung des Themas liegen sollte und mit der Eltern zusammen mit ihren Kindern den Mensch Abschnitt für Abschnitt neu entdecken sollten. Clevere Kids haben sicher auch selbständig Freude an dem Buch, dessen kurze Abschnitte gut zu bewältigen sind. Tolles Buch.
Michael Bright: Als der Mensch auf Bäumen saß. Unsere faszinierende Reise durch die Evolution. Illustriert von Hannah Bailey. Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Schmidt-Wussow. Knesebeck, 2020. Hardcover, gebunden, 64 Seiten. Mit Glossar. ISBN 978-3-95728-385-6. Ab 8 Jahren