Helden. Also Superhelden. Bildband eines erfundenen Universums. Faszinierend
Lasst mich tief durchatmen. Wer mich kennt, ahnt, dass ich kein großes Faible für Superhelden habe. Und bislang auch nie wirklich gecheckt habe, wer die eigentlich sind und was sie so super macht. Ich gebe zu, ich habe sie etwas links liegen lassen. Begegnet sind sie mir natürlich immer wieder. Wer mit Kindern und Jugendlichen und Erwachsenen gemeinsam liest und Geschichten und Bücher diskutiert, wird auch immer wieder auf Superhelden gestoßen. Superman gehört irgendwie dazu, dachte ich. Und Spiderman und Doctor Strange. Es fielen Begriffe wie Marvel und Avengers und Celestials. Doch war mir nicht klar, wie — und vor allem dass — das alles zusammen hängt und was für unglaubliche neue Mythen da teilweise aus alten, teilweise aus dem nach wie vor bestehenden menschlichen Bedürfnis nach einem unklaren Mehr entstehen.
Nun habe ich zum Glück dieses Buch in die Hände bekommen, das Menschen wie mich in die gigantischen Zusammenhänge dieser der menschlichen Fantasie entsprungenen Figuren einweist, und das für Marvel-Fans sicher ein himmlisches El Dorado ist. Denn hier wird nicht die Entstehung der Marvel-Comics illustriert, sondern die Geschichte der Figuren selbst fachkundig nacherzählt. James Hill berichtet wahrhaft beeindruckend — illustriert von bombastischen Original-Bildern der letzten sechs Jahrzehnte — vom Auftauchen der Superhelden über Äonen von Generationen hinweg, von ihrem Entstehen, ihren Kämpfen, ihrem Miteinander und vor allem ihrem Gegeneinander. Eine gigantische Historie, basierend auf Comics. Einfach erstaunlich. Eine fantastische Darstellung des alten menschlichen Wunsches, dass alles mit allem zusammenhängt. Sehr verlockend, nicht nur in der Welt der Marvels.
Erst jetzt weiß ich, dass für diese neuen Mythen, die in Comics seit den 60er Jahren bis ganz aktuell heute entstehen, alte Götter, Halbgötter und Helden wieder bemüht werden. Herkules, Thor, die Asen spielen neue Machtspiele neben Hulk, Badman, Black Panther & Co. Wann all diese Geschichten und Figuren zusammengezogen wurden, ist mir noch nicht klar, doch hat man die Stränge sich verweben lassen. In dieses verstrickte, gewaltige Universum von Überhelden gibt dieses umfassende Buch ausführlich Auskunft — und lässt auch Laien wie mich eine gewisse Idee bekommen, um was für eine gigantische Welt es sich hier handelt. Es ist eine eigene Welt mit einer eigenen Fangemeinde. Aus den Bildern spricht Gewalt und überdimensioniertes Heldentum, das mich persönlich noch immer nicht erreicht. Faszinierend ist jedoch, dass Menschen selbst 2021 offenbar noch immer an Mythen werkeln. Erwachsene. Was schon immer galt, ist noch nicht vorbei. Menschen erklären sich die Welt am liebsten mit Geschichten. Und ich glaube sofort, dass sie damit Leser nach wie vor in Bann schlagen. Diese sollten meiner Ansicht nach allerdings auch besser erwachsen sein.
James Hill: MARVEL. MYTHEN UND LEGENDEN. Die geheimnisvollen Ursprünge des Marvel Universums und seiner Superhelden.
Dorling-Kindersley Verlag, 2021. Gebunden. 215 Seiten. Mit Register. ISBN 978-3-8310-4196-1.