Keine Angst vor der richtigen Zeichensetzung!
Es wird Zeit, dass wir den Schuldigen finden. Den Erfinder der deutschen Satzzeichenregelung. Diesen Miesepeter, der uns seither die Freude am freien schriftlichen Ausdruck verdirbt, der uns bremst und hemmt, wenn wir unsere ausschweifenden Gedanken zu einem Thema, für das wir brennen, glückselig zu Papier bringen wollen. Nein, wir dürfen nicht einfach drauflos formulieren, uns von unseren großen Ideen treiben lassen, schreiben, als würden wir erzählen – – – , nein, wir müssen darauf achten, kein Komma an die falsche Stelle zu setzen und ja keins zu vergessen, wo es hingehört. Durchaus auch vor „und“, und das ist nun wirklich h-undsgemein… – „’undsgemein“, wie der Franzose sagen würde.
Beim Reden ist das einfach. Ich kann laut werden, wenn ich eine Aussage wichtig finde! So!! Ich kann mit meiner Intonation langsam hinunterfahren, wenn ich spüre, dass sich meine Aussage dem Ende neigt und ich meinen Zuhörern eine kleine Pause gönnen möchte, damit sie begreifen, was ich da soeben Ungeheuerliches gesagt habe. Ich kann auch in kurzen, schluckaufartigen Aneinanderreihungen, die sich Stück an Stück im Ton steigern, nach oben hüpfen, um aufzuzählen, was der alltägliche Haushalt heute wieder alles mit sich gebracht hat: Betten machen, Frühstück zubereiten, Pausenbrote schmieren, Tee kochen, Pausenbrote einpacken, Abräumen, Spülen, Müll rausbringen, eine Maschine Wäsche aufhängen, Balkon fegen, Meerschweinchen füttern, saugen, wischen, bohnern – und das ist bei weitem noch nicht alles.
Ich kann Kunstpausen einlegen…
Und gespannt abwarten, wie mein Gegenüber reagiert. (Wie unangenehm wäre es jetzt, wenn ich mich in diesem hochdramatischen Moment noch entscheiden müsste, ob ich jetzt „Gedankenstrich“, „Absatz“ oder doch lieber „Pünktchen, Pünktchen, Pünktchen“ sage.)
Beim Schreiben jedoch bin ich dazu verpflichtet. Und so wären sie ganz einfach erklärt, unsere Satzzeichen. Sie regeln im Schriftlichen das, was Satzbetonung, Heben und Senken der Stimme, Rhythmus, Tempo, Gefühle, gegebenenfalls auch noch einige aufschlussreiche Gesten und natürlich die dringend benötigten Atempausen beim Sprechen erledigen. Die Satzzeichen sortieren bedeutungstragend ein, was wir schreiben. Geben dem schriftlich zu Sagenden eine ergänzende, oft bitter nötige Bedeutung, regeln, stellen klar und nuancieren.
Wer’s nicht glaubt, soll sich bitte mal durch einen Text ohne Satzzeichen kämpfen. Oder einem ohne Satzzeichen gesprochenen Text lauschen. Er wird im Anschluss die Intonation seiner Navi-Stimme im Auto rhetorisch berauschend finden.
Aber: Muss die Reglementierung wirklich gar so streng sein? Wäre ein bisschen künstlerische Freiheit beim Setzen von Kommas und Pünktchen nicht wünschenswert? Lieber so aus dem Schwung heraus, als streng nach Duden?
So fing es mit den Satzzeichen schließlich auch an. Die Römer übernahmen die Idee von den Griechen und stachen mit ihren Griffeln einen Punkt in den Wachs ihrer Täfelchen, wenn sie das Gefühl hatten, eine Aussage zur Genüge ausgeführt zu haben. Lateinisch „punctum“ heißt nichts weiter als „das Gestochene“. War der Punkt gepiekst, konnte man zum nächsten Gedanken ausholen. Genau deshalb kommen wir auch heute noch bei einer Rede oder einer Tagung „zum nächsten Punkt“.
Die einzelnen Sinnabschnitte eines Satzes oder Verses hingegen nannten die Griechen schon Komma, ohne dafür ein eigenes Zeichen zu meinen oder gar eines zu setzen. Sie waren es also nicht, die uns die Kommaregeln bescherten. Die Römer auch nicht, die mit Innovationen in der Zeichensetzung nun wirklich keinen Ruhm einheimsten, sondern taten, was die Griechen ihnen vorgemacht hatten.
Nein, für die Einführung bestimmter Satzzeichenregeln stehen erstmals Mönche im Mittelalter unter Verdacht. Vorwiegend die, die musikalisch aktiv waren. Es geht das Gerücht, dass für die gregorianischen Gesänge, als diese erstmals schriftlich festgehalten wurden, „Satzzeichen“ einheitlich geregelt werden mussten. Klar: beim gemeinsamen Chorgesang ist die künstlerische Freiheit Einzelner nicht gefragt. Passt nicht ins Konzept. Und so gilt als ziemlich sicher, dass bestimmte Kadenzen, also Melodieschlüsse, die alle zusammen exakt gleich intonieren mussten, zur Erfindung des Fragezeichens geführt haben. – – – Ja! Wer hätte das gedacht? Dass die Kirche auch noch das Fragezeichen erfunden hat?
Folgen wir dem Lauf der Geschichte, stellen wir fest, dass mit der Zeit langsam immer mehr Satzzeichen zu Punkt, Doppelpunkt, Strichpunkt und dem punctus interrogativus der Gregorianik hinzukamen. Das Ausrufezeichen, der Gedankenstrich, die Klammern, die Anführungszeichen für die wörtliche Rede… Der Grund dafür scheint klar: der Mensch wollte, was er schrieb, immer nuancenreicher ausführen, immer genauer differenzieren, auch beim Schreiben klar machen, wie wichtig ihm die eine Aussage war, wohingegen eine andere bloß eingeschoben oder gar das Werk eines ganz anderen war. Immer größer wurde die Anzahl der Zeichen und ihrer Verwendung, immer feiner die Aussagekraft. Die Regeln der Verwendung wurden angepasst. Meiner Ansicht nach ist dieser Prozess auch noch nicht abgeschlossen. Man beachte nur das Setzen von Emojis in den neuen schriftlichen Verkehrswegen wie Email, Whatsapp & Co. Wie viele variantenreiche Gesichtsausdrücke werden da mittlerweile hintenangefügt, um zu verdeutlichen, ob die Aussage ironisch oder lakonisch gemeint war, wie es dem Schreiber beim Schreiben ging und ob er es gut oder schlecht mit einem meint. Ich weiß nicht, wie viele es gibt (sehr viele!), aber seit August 2017 ist zumindest das Wort Emoji im neuen Duden zur Rechtschreibung aufgenommen.
Noch gibt es kaum festgelegte Emoji-Regeln. Außer dass der Duden empfiehlt sie nach dem Satzzeichen zu setzen. Da ist also noch Spielraum. Und auch die wenigsten anderen Satzzeichen machen uns ernsthaften Kummer. Außer dem Komma. Dem Kummer-Komma. Es ist und bleibt einfach am unwägbarsten. Wo gehört es hin? Wo nicht? Es taucht jedenfalls erst im 17./18. Jahrhundert auf, verdrängt Strichpunkt und Doppelpunkt, um Sinnabschnitte innerhalb eines Satzes zu trennen, wird dann irgendwann aber nicht mehr einfach da gesetzt, wo ein Sprecher meint, einen Sinnabschnitt oder eine kurze, gehobene Sprechpause einfügen zu müssen, sondern unterwirft sich den Regeln eines (einzigen!) venezianischen Druckers, der für die lateinischen Texte seiner Druckerei eine einheitliche Kommaregelung festlegte. Und sie auch noch tadellos selbst anwandte. Da haben wir ihn, den Schuldigen für die Strenge auch unserer heutigen Kommaregeln – denn Konrad Duden hat sie von ihm für das Deutsche übernommen und erstmals 1903 im Buchdrucker-Duden und dann auch 1915 für sein Standardwerk RECHTSCHREIBUNG als maßgeblich formuliert. Der Name unseres Schuldigen lautet: Aldus Manutius. 1566 schritt er zu seiner Missetat.
Vielleicht sollte man dennoch die Satzzeichen nicht als gar zu gefährliche Gegner betrachten. Die Regeln sind bis auf wenige Ausnahmefälle einfach und klar. Sich ihren Sinn klarmachen, ein bisschen Training und dazu ein bisschen Mut zur Lücke ist besser, als vor lauter Sorge um die falsche Kommasetzung gar keine mehr anzubringen. Der Duden selbst erlaubt uns einen gewissen freien Umgang mit der Zeichensetzung und spricht von ihr doch tatsächlich als einem „Mittel der stilistischen Gestaltung“, da man häufig die Wahl habe zwischen „verschiedenen Auslegungen des Gesagten“ und man „mithilfe der Zeichensetzung seine Intention verdeutlichen“ könne. (KOMMA, PUNKT UND ALLE ANDEREN SATZZEICHEN. Das Handbuch zur Zeichensetzung, Duden-Verlag, 2018, S. 8 – Wirklich das Standardwerk zur deutschen Zeichensetzung und dabei ein praktisches Handbuch, in dem man im Zweifelsfall rasch nachschlagen und sich die wichtigesten Regeln locker selbst beibringen kann.) Ich finde, das berechtigt zu 80% Regelbeherrschung (Einübung inkulsive) und 20% künstlerischer Freiheit (Begründung inklusive). Und auch wenn ich das ein klein wenig augenzwinkernd sage, finde ich, dass wir dies im Hinterkopf haben sollten, wenn wir uns selbst oder aber Lernende mit der Zeichensetzung quälen.
©Konstanze Keller, im Juni 2018