Auch Rüdiger Bertram hat einen Roman geschrieben, bei dem nicht alles rund und glatt läuft. Ein Jugendbuch. Einen bewegenden, historischen Roman. Und ich darf mich wiederholen: wenn er für ältere Leser schreibt, ist Rüdiger Bertram ein beachtenswert wichtiger deutscher Autor im Bereich Kinder- und Jugendbuch.
DER PFAD erzählt die Geschichte einer Flucht in die Freiheit. Er versetzt uns zurück in das Jahr 1941. Rolf und sein Vater sind aus Nazi-Deutschland geflüchtet und zu Beginn des Romans in Marseille angekommen. Dort warten sie auf eine Möglichkeit nach Spanien und weiter nach USA zu kommen, wo Rolfs Mutter schon auf ihre Familie wartet. Die Beziehung zwischen Vater und Sohn wird sehr einfühlsam und liebevoll beschrieben. Die beiden haben auch einen kleinen Hund dabei, den sie über alles lieben. Beide logieren in einem Hotel, genau wie andere deutsche Flüchtlinge, die noch auf gefälschte Pässe warten und zwischen Aufbruch, Hoffnung und Verzweiflung hin und her gerissen sind. Die Urlaubsatmosphäre im sonnigen Süden Frankreichs steht in verwirrendem Gegensatz zu der spürbaren Angst und Nervosität der Gäste. Rolf und sein Vater spielen immer wieder ein Spiel, bei dem sie entscheiden, was gut und was böse ist. Eine Frage, die besonders zu Kriegszeiten schwer zu beantworten ist.
Ist die Flucht das richtige? Oder doch das falsche? Diese Frage stellen sie nicht, denn dafür ist es längst zu spät.
Dank des Hirtenjungens Manuel geht die Reise für Rolf und Ludwig schließlich weiter. Er führt Vater und Sohn auf einem geheimen Pfad über die Pyrenäen Richtung Spanien. Dieser Pfad ist historisch. Viele deutsche Intellektuelle sind über diesen Weg Richtung Spanien vor den Nazis geflohen, unter anderem Walter Benjamin und Heinrich Mann. Rüdiger Betram ist ihn beim Recherchieren für dieses Buch selbst gelaufen. Der Jugendroman verheimlicht nicht, wie gefährlich es für alle Beteiligten war, auf diesem Weg zu flüchten. Weit weg davon, nur ein Abenteuerroman zu sein, erzählt die Geschichte uns, von den Ängsten aller Teilnehmer vor Verrat und Verhaftung. Auch die Fluchthelfer setzen sich großer Gefahr aus. Rolfs Vater wird schließlich tatsächlich gefangen genommen. In diesem Moment ahnt der erfahrene Leser, dass weder Rolf noch wir dem Vater wieder begegnen werden. Rüdiger Bertram hat mir verraten, dass er es auch nicht als stimmig empfunden hätte, eine Geschichte wie dieser ein happy end zu verleihen, zumindest nicht ein vollkommen glückliches Ende.
Typisch für die „erwachseneren“ Bücher Rüdiger Bertrams, in denen er sich an ältere Leser wendet, spielt auch hier ein Klassiker der Kinderliteratur eine wichtige Rolle. Rolf hat ein für ihn signiertes Exemplar von Erich Kästners 35. MAI in seinem Gepäck. Wie anders ist die Reise, die in diesem Buch geschildert wird, als die die Rolf absolvieren muss. Nicht nur, dass die fantastische Reise in eine Welt führt, in der alles verkehrt und anders und lustig und herrlich und wie ein Schlaraffenland ist, und damit die Zeit des Zweiten Weltkriegs auf krasse Weise kontrastiert und zeigt, wie bar jeder Fantasie das ist, was die Jungs durchstehen müssen, die Geschichte tut den beiden Jungen in den vielen gefahrvollen und herzzerreissenden Situationen ihrer Flucht auch einfach gut. Natürlich kommt hinzu, dass Kästner ebenfalls ein durch die Nationalsozialisten in Gefahr geratener Intellektueller aus Berlin war. Die Leser lernen nebenbei also auch noch eine ganze Menge.
Sowohl der Beginn der Flucht von Berlin nach Marseille als auch das unter den gegebenen Umständen nur teils glückliche Ende sind auf den ersten und letzten Seiten des Buches als Comic dargestellt. Gezeichnet von Illustrator Heribert Schulmeyer, dem Freund und genialen Partner des Autors Rüdiger Bertram. Dieses Buch ist nicht die erste gemeinsame Arbeit dieses erfolgreichen Duos. Und wir hoffen, auch nicht die letzte.
Rüdiger Bertram: DER PFAD. Die Geschichte einer Flucht in die Freiheit. CBJ, 2017. ISBN 978-3-570-17236-0. 235 Seiten. Ab 12 Jahren.