Text: Konstanze Keller
Warum wir schon kleinen Menschen gespannte Aufmerksamkeit und glucksendes Lachen entlocken, wenn wir mit ihnen reimen? Nun, das hängt wohl mal wieder mit der alten Vorliebe für Zauber und Magie zusammen. Mit dem Glauben, dass da mehr ist, als wir auf den ersten Blick sehen können. Und mit der glücklichen Entdeckung, die dann folgt, dass es diesen Zauber in der Sprache zumindest wirklich gibt.
Wir könnten ja auch viel weiter zurück in die Kindheitsstunde der Menschheit blicken und fragen, warum unsere Spezies überhaupt das Reimen erfand, oder besser: entdeckte. Im Zauber liegt die Antwort erneut. Im Staunen über den magischen Klang, der entsteht, wenn wir nicht einfach nur sprechen, sondern versuchen die Sprache zu rhythmisieren und klanglich fließen zu lassen, Muster zu entdecken oder einfach zu schöpfen.
Ihr ahnt schon, es ist viel mehr als der schwingende oder schlagende Reim, mit dem Zeilenenden verbunden werden. Es ist auch die Bewegung im Innern der Zeile, der Takt, der uns schwingen lässt, es sind Gleichlaute, die nah aneinander sich schmiegen, und ganz besonders auch die Komposition düsterer Klänge oder wahlweise zärtlich zirpender Zusammensetzungen, die Sprache magisch macht.
Abrakadabra – da reimt’s und brodelt es bassbärig tief.
Simsalabim – da sirren und bimmeln die Laute.
Das lässt keine Seele kalt, deren Ohren noch gebannt lauschen. Das ist nur ein kleines Schrittchen, ein Atempäuschen vor der Musik. Und das empfangen auch Babys.
Tatsächlich ist der bewusste klangliche Umgang mit Sprache wohl mit ersten Beschwörungen, Heilzauber, Gebeten und diversen magischen Riten entstanden. Sprache, die so besonders klingt, so dachte man wohl, muss mehr vermögen als der alltägliche Klang des Austauschs. Und so merken wir heute noch auf, wenn jemand sprachlich tost, wenn Sprache wie Musik klingt oder gar gesungen wird. Hat jemand Geburtstag, bemüht man sich um Gereimtes. Die Werbung spielt mit Gleichklang und Takt. Denn bleibt eine so geformte Sprache auch besser im Kopf, sie prägt sich kinderleicht ein. Nicht umsonst werden Merksprüche und Eselsbrücken meistens gereimt. Das ist kein Zufall, sondern Methode.
Im Mittelalter war das Reimen längst so hoch angesehen, dass alle großen Geschichten, die Blockbuster damaliger Zeit wie beispielsweise das Nibelungenlied, in Reime gefasst wurden. Ließen sie sich so, ellenlang wie sie waren, auch viel besser merken, Strophe um Strophe um Strophe… Reim folgt auf Reim folgt auf Reim. Und Vergessenes reißt hässliche Lücken mitten hinein. Die Bänkelsänger am mittelalterlichen Hof, die Geschichtenerzähler, trugen die Epen auswendig vor. Nicht trotz der Reime gelang ihnen das, sondern wegen der Struktur, die sie geben.
Alles zusammen bringt uns zurück zu den Kindern und der reimenden Kinderliteratur für die Kleinsten. Was sich reimt, erweckt ihre Aufmerksamkeit schon so früh und so zart – jedoch nur dann, wenn es glänzend gemacht ist. Das heißt, dass auch ein einwandfreier Rhythmus vorliegen muss, harmonische Klänge und Wörterspaß. Zudem sollte der Inhalt sich trotz allem dem Reim nicht beugen, sondern für sich ganz großartig sein. Nur Wortkünstler verstehen das alles zusammenzutragen, ohne gezwungen zu klingen. So dass federleicht scheint, was kunstvoll zusammengebaut wurde. Es kann nicht jeder reimen. Zumindest nicht ohne Mühe. Doch wie könnten wir das auch erwarten? Schließlich heißt reimen tatsächlich, mit Sprache zu zaubern. Magie ist nicht simpel, sondern mächtig. Und ebenso schwer zu erschaffen.
Doch Texte, die das schaffen und uns auf Bilderbuchseiten ganz leicht daher spaziert kommen, schaffen es: sie zaubern ein Lächeln schon auf Babygesichter, entlocken den Kleinen das zauberhafteste Lachen, lassen die Kleinsten schon Sprache genießen. Unvorstellbar, was da in den Köpfchen vor sich geht. Begeisterung, Leidenschaft und natürlich auch Lernen. Denn bald schon wollen sie nur diesen Text. Und wenig später können sie noch unbekannte Reime ergänzen. Welch schöne Art, Weltwissen zu erlernen. Sich von Sprache und Geschichten wiegen und weitertreiben zu lassen – unbändiges Vergnügen. Ich muss wohl kaum noch ergänzen, dass ich mir sicher bin, dass sich auch das Lesenlernen in Reimen am besten gestaltet. Selbst wenn das eine oder andere Satzende dann geraten wird, ist es doch der erfolgreiche Sprung zum eigenen, selbstbewussten Lesen.
Wir leben in einer Zeit, in der Zauber und Magie offiziell keine Bedeutung mehr haben und Reime auf Festen gezwungen und gefürchtet sind. Doch gibt es noch immer Texte, die Zauber in sich tragen, Reime, die uns emporschwingen können in höhere Sphären des Vergnügens und dann ganz einfach „magisch“ sind. Wir spüren mit unseren Kleinsten diese Texte auf. Ganz kinderleicht. Weil Babys zum Glück ja noch nicht wissen, dass die Menschheit derzeit die Welt entzaubert hat. Dem Bann gut geformter Sprache, können sich viele noch immer nicht entziehen. Und dann wird Lesen und Lauschen zum Genuss.