Ein Myrtle-Hardcastle-Krimi. Band 1
Habe soeben eine neue, famose Kinder-Detektivin kennen gelernt. Und bin hin und weg von ihrer etwas schludrigen, übereuphorischen, doch ganz und gar engagierten Art, die nicht nur sie zunächst in die Bredouille bringt. Und die Geschichte dann in erstaunlichen Windungen auf ein brisantes Ende hin zubewegt.
Myrtle Hardcastle ist ein brillantes junges Mädchen — und liegt manchmal leider auch brillant daneben. Sie ist Tochter aus gutem Hause, ihr Vater ist Staatsanwalt am Gericht der englischen Kleinstadt Swinburne, und ihre Gouvernante und Hauslehrerin Miss Judson steht einer Mary Poppins der Kriminalistik in fast nichts nach, außer dass sie nicht fliegen kann. Mädchen und Erzieherin sind ein köstliches, gewitzte Team. Deren Dialoge zu verfolgen ist ein kinderliterarisches Zuckerstückchen. Die Stimmung erinnert an Klassiker wie WER DIE NACHTIGALL STÖRT oder an emanzipierte Heldinnen-Geschichten wie ENOLA HOLMES. Die junge Heldin hier ist schon eine ganze Weile willens, einen Kriminalfall zu lösen, als die Geschichte überhaupt erst einsetzt. Was für ein Vorhaben.
Und so ist es nicht weiter erstaunlich, dass der überbordenden Myrtle niemand so recht Glauben schenken will, als sie mit dem neuen Teleskop von ihrem Zimmer aus Beobachtungen auf dem Nachbargrundstück gemacht haben will, die sie auf den Verdacht eines Mordfalls bringen. Tatsächlich wird die alte, äußerst wohlhabende Nachbarin Miss Wodehouse zwar dann an diesem Morgen tot in ihrer Badewanne aufgefunden. Doch die Spurensicherung der Polizei arbeitet lasch. Wer würde bei einem Herzversagen im hohen Alter auch von Mord ausgehen? (Also, wer außer Myrtle Hardcastle?) Die besonders in Chemie und Botanik brillierende Jungdetektivin zieht ihre eigenen Schlüsse, kräftig, wenn auch scheinheilig unterstützt von der cleveren Miss Judson — und obwohl die beiden großartig recherchieren, bringen sie den Gärtner (wen sonst?) unschuldig hinter Gitter. Als Myrtle klar wird, dass sie einen Menschen in Schwierigkeiten gebracht hat, der alles andere verdient hat, wird ihr Kampfgeist allerdings erst recht geweckt. Die Gerechtigkeit muss wiederhergestellt werden. Und spätestens von da an, wird der Roman so spannend, dass wir ihn kaum noch aus der Hand legen können.
Großartige Kinderliteratur, klug, witzig, modern, augenzwinkernd, die auch großen Lesern Spaß macht, da die Spannung weit über den Kriminalfall hinausgeht. Was Schuldzuweisungen anrichten können, wie Menschen interagieren, wie sehr ihre Gefühle füreinander ihre Ansichten in falsche Richtungen lenken und wie sie sich letztlich alle miteinander wahren Respekt verschaffen können, davon erzählt dieser sehr gute Kinderkrimi.
Inzwischen sind bei Knesebeck drei weitere Myrtle Hardcastle-Bände erschienen, auf die ich mich jetzt schon freue.
Elizabeth C. Bunce, Mord im Gewächshaus. Ein Myrtle-Hardcastle-Krimi. Band 1 Aus dem Amerikanischen übersetzt von Nadine Mannchen. Knesebeck Verlag, 2021. 334 Seiten. ISBN 978-3-95728-486-0. Ab 12 Jahren