Amy und die Geheime Bibliothek

Eine moderne Liebeserklärung an das Lesen. Eine Rezension UND eine Geschichte aus dem leseweisen LESE-SALOON

© Hanser

Dieses Buch habe ich zusammen mit meinem Lese-Saloon im Familienzentrum Bammental gelesen. Im LESEWEIS®-Lese-Saloon (nicht Salon! Wir sind ja jung!) lese ich zusammen mit Kids und Familien, um das Lesen wöchentlich ganz intensiv zu pflegen und viel über das Vorlesen zu lernen. Oft wählen wir uns Bücher aus, die vom Lesen und von Büchern selbst handeln. Die Geschichte von Amy ist geradezu unerhört und hat meine Mitleser und mich sehr in Atem gehalten – und dann beruht sie auch noch auf der Wirklichkeit…

Unfassbar! Da haben doch Eltern an einer amerikanischen Schule durchgesetzt, dass Amys Lieblingsbuch aus der Schulbücherei verschwindet. Amy ist wahnsinnig enttäuscht. Bei dem turbulenten Familienleben zuhause mit zwei jüngeren, lärmenden Schwestern, sind die Bücher doch ihre rettende Insel. Auch die freundliche Bibliothekarin ist geknickt. Über sie erfährt Amy, dass noch mehr Bücher „aussortiert“ wurden — angeblich weil sie das Wohl von heranwachsenden Kindern gefährden… 

Nicht nur Amy hatte den Eindruck, dass hier jemand nicht viel über das wohlige Wohl von Kindern weiß, die gerne lesen. 

Amy ist ein sehr schüchternes, was fast nichts anderes heißt als freundliches, stilles Wesen. Doch als mehr und mehr ihrer liebsten Bücher verschwinden, wird sie zur Rebellin. Dies ist unglaublich subtil geschildert, so dass meine armen Mitleserinnen vor Anspannung schier platzten. Wann endlich wird Amy laut? Wann kämpft sie gegen das Unrecht an ihrer Schule? 

Amy aber rebelliert viel geschickter. Sie richtet heimlich eine eigene Schließfachbibliothek ein, die sie nach und nach mit allen verbannten Titeln bestückt – darunter DIE UNENDLICHE GESCHICHTE, GILLY HOPKINS, GESPENSTERJÄGER, CAPTAIN UNDERPANTS, HALLO MR GOTT HIER SPRICHT ANNA… und auch HARRY POTTER! — — — HARRY POTTER! Verbannt?! Es war noch nie so turbulent in meinem Lese-Saloon. Die Kids gingen an die Decke (es war wunderbar! Ich bekomme jetzt noch Gänsehaut!!!) — wie in einem echten Wildwest-Saloon eben. Die Empörung war gigantisch. 

Und genau das schafft dieses wunderbare Buch. Es feiert das Lesen und die Literatur als Bestandteil der Demokratie. Bücher sind für alle da – und alle haben das Recht zu lesen, was sie wollen. Niemand hat einem zu sagen, dass er nicht zu dem einen oder anderen Buch greifen darf. Denn jeder wird selbst merken, was zu einem passt und was nicht. Fängt einer an, von oben herab auszusortieren, beginnt ein Unrecht, das am Ende dazu führt, dass an jedem einzelnen Buch etwas ausgesetzt werden kann, und dassüber kurz oder lang das Lesen als solches als Gefahr betrachtet und verboten wird. Wer einem das Lesen verbietet, verbietet einem das Denken. Ich bin froh, wie sehr die Kids sowohl diese Gefahr erkannten, als auch das Glück wertzuschätzen begannen, dass sie hier lesen dürfen, was immer sie wollen. 

Amy jedenfalls ist überrascht, als mehr und mehr Kinder ihr Bücher bringen, die sie in ihrer geheimen Bibliothek aufbewahren soll. Und mehr und mehr Kinder leihen sich bei ihr diese Bücher aus. Ihre Idee nimmt viel größere Ausmaße an, als sie sich das zu Beginn dachte. Zum Unglück jedoch fliegt die Sache auf und Amy droht sogar Suspension. Doch dann endlich siegt ihr Mut und sie wagt es, vor dem Schulausschuss zu reden. 

Ein großartiges Buch, das auf wahren Begebenheiten in den USA beruht, wo jedes Jahr Hunderte Beschwerden eingehen, deren Ziel es ist, Bücher aus Bibliotheken zu verbannen. Viele Bücher werden dann auch wirklich verbannt, heißt es im Nachwort zum Buch. Dazu gehörten tatsächlich auch schon die HARRY-POTTER-Bücher – Alan Gratz’ Lieblingslektüre – und somit der Anlass für ihn, das Buch über Amy und die geheime Bibliothek zu schreiben. Klasse. 

Aufwühlend. Mitreißend. Wie ein Buch ruhig sein soll.

Ab 9 Jahren.

Alan Graz: AMY UND DIE GEHEIME BIBLIOTHEK.

Hanser, 2019. 249 Seiten. Fester Einband. ISBN 978-3-446-26211-9

PS: Mein Lese-Saloon hat in der Zwischenzeit auch ein „Schließfach“ gebastelt. Und „verbotene Bücher“ drauf geschrieben (Initiative der lesenden Kinder.) Da packen wir all die herrliche Kinderliteratur rein, die im Buch Erwähnung findet, das nämlich so gelesen auch ein wunderbarer „must-have“- bzw. „Muss-man-gelesen-haben“-Katalog der Kinderliteratur ist. Ein wichtiges Buch über die Bedeutung von Büchern. Und wie raffiniert die Idee, die besten Kinderbücher mit „verboten“ zu betiteln. Prompt wollen alle sie lesen! Sind doch seltsam, diese Menschen…