Die Kunst der Ernte

Die Kunst ist womöglich, gerade nicht zu ernten… Formidabel kluges Buch über den kultivierten, konsumorientierten, global vernetzten Menschen und das, was er jetzt beherzigen sollte. Für Erwachsene

© Hanser-Verlag

„Wenn wir die genaue Herkunft der uns umgebenden Objekte kennen würden, wenn wir wüssten, mit welchen Lebensgeschichten diese Objekte in Berührung gekommen sind, welche Landschaften sie geformt haben — wären wir dann noch im Stande sie zu behalten?“

Ich gebe zu, an dieser Stelle im Buch hat Autor Edward Posnett mich ertappt. Wenn ich über die genaue Herkunft eines Objekts, sagen wir eines Lebensmittels oder eines Kleidungsstücks Bescheid wüsste…, dann hätte ich frei heraus ergänzt: …bin ich mir damit sicher, …genieße ich es, …habe ich mein Gewissen beruhigt. Doch in diesem Buch, lautet die Folgerung hingegen fragend: Wäre ich dann noch im Stande es zu behalten? Genau mit dieser essentiellen Frage fesselt Posnett an sein sowohl großartig recherchiertes als auch überaus unterhaltsam erzähltes Buch über sieben faszinierende Rohstoffe der anderen Art. 

Wir folgen ihm in seinem schwingenden Erzählfluss, der an wunderbare Filmreportagen erinnert, die uns kreuz und quer über den Erdball führen, um schließlich an Orten wie winzigen Punkten anzukommen und hier zu verweilen. Denn hier gibt es etwas. Hier hat der Sammler des Außergewöhnlichen ein Fundstück aufgestöbert. Posnett ist dabei auf der Suche nach Produkten, die aus der Tier- oder Pflanzenwelt stammen. Produkte, bei denen wir Menschen uns wie üblich bedienen. Etwas Entscheidendes ist bei diesen Rohstoffen jedoch anders: Um sie zu gewinnen, muss das Tier nicht gequält oder getötet werden. Die Pflanze muss nicht derart überzüchtet werden, dass andere Spezies oder gar ihre eigene Urform ausgerottet oder dass ganze Landschaften unwiderbringlich zerstört werden. Statt um Ausbeutung könnte es sich zumindest um eine Art Kooperation zwischen Mensch und Natur handeln. Die große Frage hinter Posnetts Suche lautet nämlich: Geht es auch anders? Ist eine nachhaltige Beziehung  zwischen Mensch und Natur möglich oder doch nur eine schöne Illusion?

Siebenmal ist der Autor fündig geworden. Hat für dieses faszinierende Buch sieben Beispiele aus unserer Kulturgeschichte gefunden, wie es sehr wohl anders geht. Bei seinen sieben Fundstücken handelt es sich um die Eiderdaunen, um essbare Vogelnester, um Katzenkaffee, um Muschelseide, die Vikunjafaser, um Tagua und Guano. Und in malerisch bunten Geschichten stellt er uns diese Rohstoffe als kleine Wunder der Natur vor. 

Ein Buch, das uns anhand von sieben außergewöhnlichen „Exponaten“ von der nicht mehr tragbaren globalen Ausbeutung erzählt und dabei seinen wohltuenden Schwerpunkt auf die Möglichkeiten legt, die wir Menschen im Umgang mit der Natur  und uns selbst (noch) haben. Brillant und anders.

Edward Posnett: DIE KUNST DER ERNTE. Sieben kleine Naturwunder und ihre Geschichten.

Aus dem Englischen von Sabine Hübner.

Carl Hanser Verlag. 2020. Gebunden. 336 Seiten. ISBN: 978-3-446-26581-3. Für Erwachsene

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