Bücher über den Krieg sind und bleiben für mich keine Kinderbücher in erster Reihe. Und doch halte ich sie für extrem wichtig, wenn wir älter werden und anfangen müssen, die Welt zu sehen, wie sie auch sein kann. Nämlich dann, wenn wieder einmal alle Stränge reißen, wenn wieder einmal das Böse regiert und die Gewalt losbricht, als folge sie einem Naturgesetz. Wenn wir dann alt genug sind, zu verstehen, dass Gewalt nicht sein darf, dass wir andere Möglichkeiten haben, dann ist es gut, wenn auch junge Menschen sich mit dem Krieg und seinen grauenhaften Folgen auseinandersetzen. Vielleicht bietet dieses Büchlein eine hochinteressante Gesprächsgrundlage.
Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang dieses Buch, das zum Teil eine Replik eines Schulheftes ist, das der Erstklässler Michal Skibinski im Sommer 1939 verfasst hat. Der polnische Junge war damals 8 Jahre alt und schrieb in den Sommerferien jeden Tag einen Satz in dieses Heft — als Aufgabe seiner Lehrerin zum Schreiben-Üben. Was für ein Zeitdokument aus kindlicher Feder ist auf diese Weise entstanden, auch wenn manchmal nur dasteht „Ich warte auf Mami“ oder „Ich habe Papa getroffen“. Denn am 1. September begann nicht die Schule wieder, sondern der 2. Weltkrieg. Und der Junge wird auf’s Land gebracht, wieder und wieder verlegt. Der Vater verabschiedet sich. Und kommt bereits am 9. September ums Leben. Immer nur ein Satz. Wenige Tage lang. Und doch liegt das ganze Elend in den schlichten Betrachtungen eines Kindes. Stimmungsvoll illustriert von Ala Bankroft.
Zum Lesen und Spüren für Erwachsene. Wenn auch der Verfasser ein Kind ist. Und zum behutsamen Umgang mit Kindern ab 12 zum Thema Krieg.
Michal Skibinski: Ich habe einen schönen Specht gesehen. Prestel, 2021. Aus dem Polnischen von Thomas Weiler. Illustriert von Ala Bankroft. Hardcover, Pappband. 128 Seiten. ISBN 978-3-7913-7485-7. Ab 7, sagt der Verlag. Für Heranwachsende ab 12 und Erwachsene, sagt LESEWEIS®