Das Geschenk der Honighexe

von CAH

Ich hatte mich so gefreut, endlich mal mit zu dürfen zum Weihnachtsmarkt. Ich hatte gefühlt schon mindestens 2 Jahre gefragt und nie durfte ich. Immer war ich zu klein und immer war der Weihnachtsmarkt zu groß, zu voll und viel zu gefährlich, als das ich dahin mit kommen konnte.

 Es war so gemein, ich konnte nicht schneller wachsen, ich konnte den Weihnachtsmarkt nicht schrumpfen und meine Eltern überzeugen war sowieso völlig ausgeschlossen. Also wartete ich und  ich wartete  ungeduldig. Denn niemand kann einem vorschreiben, dass man geduldig warten muss. Mein Fragen fing immer schon im Herbst an und hörte erst mit der Bescherung auf wenn klar war, dass es in diesem Jahr wieder nichts werden würde mit meinem Wunsch. Bis dahin hatte meine Mutter  meistens schon zehn Mal  geseufzt und gefragt,  ob denn einmal Nein nicht genug wäre. War es aber nicht und das wusste sie auch. 

Also jetzt durfte ich mit. Es kam so überraschend, dass ich überhaupt nicht darüber nachgedacht hatte was ich denn anziehen würde, damit ich nicht erfrieren würde und wie ich denn dafür sorgen konnte,  dass ich nicht verloren gehen würde. Und jetzt hatte ich keine Zeit mehr dafür. Irgendwie hatte ich Angst davor. Ich war doch gar nicht so viel gewachsen seit letztem Jahr und was, wenn man mich doch nicht mehr finden würde, weil ich doch zu klein war? Meine Eltern waren fertig und wollten gehen. Fragten,  ob ich nicht mehr wollte… Das war zu viel. Natürlich wollte ich. Ich hatte noch nie so schnell meine Jacke angezogen. Es würde schon nichts passieren, ich konnte ja auf jeden Fall schon aus dem Fenster neben der Tür schauen ohne mich auf den Zehenspitzen stellen zu müssen. Jetzt oder nie, noch ein Jahr warten wollte ich auf keinen Fall. 

Es war unglaublich als wir da waren. Es roch nach Feuer und Holz, nach Honig und gebrannten Mandeln, nach nassen Jacken leider auch. Es war so voll, dass ich mich an lange Strecken erinnere an denen ich durch einen Tunnel von nasser Wolle geschoben  oder mehr  noch  gezogen wurde. Dann hielten wir an dem Stand mit den Mandeln und wieder ging es weiter … Es machte mich  müde und ich sah nichts ausser blöde Jacken. Musste  mich vor den Taschen hüten. Keiner hatte mir gesagt, dass die grösste Gefahr für ein Kind meiner Grösse von den herum baumelnden schweren Taschen ausgehen würde. Ich hatte gerade die Dritte gegen den Kopf bekommen, als ich keine Lust mehr hatte auf das Gedränge. Hier wollte ich all die Jahre hin?

 Da drüben war es schön, es leuchtete von hinter einem Turm  gelber Honiggläser.  Ich konnte gar nicht erkennen, ob jemand in der Bude war. Es gab nur die leuchtende Pyramide dort. Es flackerte. Da musste ich hin. Als ich davor stand,  versuchte ich es mit Hüpfen, aber ich sah nichts. Etwas dunkles in der Ecke vielleicht. Die Pyramide konnte ich gut sehen: Volle Honiggläser, sehr verlockend. Hunger hatte ich auch. Ich weiss nicht mehr wie ich in die Bude kam, hab ich die Gläser umgeworfen oder bin ich um die Ecke gelaufen und zur Tür rein gegangen?  Gab es eine Tür? Bestimmt gab es eine. Ich weiss nur noch wie sie da saß: Krumm und klein, fast so klein wie ich. Das machte sie schon weniger gruselig. Die Honighexe, ich hatte schon von ihr gehört, aber ich hatte sie noch nie von so nah gesehen. Sie war eigentlich nicht viel älter als meine Oma. Nur runzeliger, deutlich runzeliger. Sie lachte. Ja, irgendwie wirkte sie wie eine Trockenpflaume. Also eine, die sich gerade so richtig über was freut. Sie hatte tief eingegrabene Augen, kleine Kraterseen,  die jetzt leuchteten wie kleine Sterne und ein Mund ohne Zähne. Ihre Bude war von innen noch besser als von aussen. Jetzt sah ich die Pyramide von unten angeleuchtet gegen einem schwarzen Draußen, fast als ob die Welt verschwunden war. Nur noch wir hier drin, keine drängelnden Jacken, nur der Ofen, der leuchtende Honigturm und wir. Wir? Ich kannte sie doch gar nicht. Sie hatte ein Buch auf dem Schoss. So ein Richtiges: Groß, riesig mit gewellten Blättern. Sie las mir was vor aus den leuchtenden Seiten.  Ich hatte noch nie solche spannenden Geschichten gehört. Es war eine Steinzeitgeschichte, ich weiss es noch ganz genau. Ich habe mich kaum getraut zu atmen als sie dachte es war ein ander Mensch in der Nähe….

Da ist sie – und dann ging gleich schon die Tür auf,  pustete mit eisiger Kälte die magische Spannung weg.  Meine Eltern haben nie verstanden was ich in der Hütte gemacht habe und warum ich nicht in wilder Panik auf der Suche nach ihnen umher gelaufen war – Die Geschichte gehörte noch Jahre zum festen Bestandteil des alljährlichen wieder aufgewärmten Weihnachtsgeschichten-Eintopf unserer Familie. Die Panik kam erst in dem Moment als die Tür aufging und die Geräusche, Gerüche und Kälte übereinander in die Hütte purzelten. Die Geschichte war noch nicht zu Ende, wie sollte das gehen? Ich wollte nicht weg. Der Honighexe schien das nichts aus zu machen, sie lächelte nur, wenn ich mich richtig erinnere. Mir ging das viel zu schnell, ich war noch bei Maura in der Steinzeit, als sie mir dieses Riesenbuch in die Hände drückte und sagte:  „Hüte dieses Buch. Weist du was das bedeutet?“  Nein, wusste ich nicht. Ich wusste grad gar nichts. „Pass sehr gut darauf auf, du kannst das …“  Seitdem habe ich es, mein Buch. Und ich habe es gehütet, behütet, gelesen und geschrieben. Gesammelt hab ich sie, die ganzen Geschichten, die einen durch ein Rauschen der Blätter zugeflüstert werden. Die, die das Wasser erzählt wenn man dem Murmeln an den kleinen Sprüngen in seinen Verlauf lauscht. Die, die der Wind einen leise aber unaufhörlich in den Kopf pustet, als wenn der komplett geschlossen wäre……