Circus Zingaro – Tina Kraus im Gespräch mit Konstanze Keller

Schaut euch mal diesen Film zum Pop-Up-Buch aus der Faltmanufaktur von Tina Kraus an:

 

Der Film von Best Pop-Up-Books über das Pop-Up-Unikat von Tina Kraus über den Circus Zingaro hat mich so begeistert, dass ich die Künstlerin spontan um ein Gespräch gebeten habe. Netterweise hat sie meine Fragen ausführlich beantwortet. Spannend, kann ich nur sagen. Bezaubernd. (Alle Fotos: Tina Kraus mit ausdrücklicher Genehmigung.)

Konstanze von LESEWEIS® 

Liebe Tina Kraus, 

Sie haben ein absolut beeindruckendes Pop-Up-Werk vorgelegt – und zwar als Abschlussarbeit Ihres Studiums der Illustration an der School of Design in Münster. Heißt das, dass das bezaubernde Buch CIRCUS ZINGARO von Ihnen komplett von Hand gefertigt wurde? Und folglich auch nur ein einziges Mal existiert?

Tina Kraus: 

Ja und nein. Es steckt sehr viel Handarbeit in jedem Pop-Up, aber auch viel Arbeit am Computer. Die ersten Dummies der Pop-Ups mache ich komplett von Hand, dann lege ich digital Schnittvorlagen an und ein Plotter hilft mir beim Ausschneiden. Zusammengeklebt wird dann wieder alles in Handarbeit. Auch die Illustrationen sind analog mit Aquarell entstanden, aber eingescannt und hier und da nachbearbeitet und an die Pop-Ups angepasst worden. Inzwischen gibt es das Buch in zwei Versionen, da ich es 2014 komplett überarbeitet und einen neuen Dummy angefertigt habe.

Konstanze von LESEWEIS® 

Wie lange haben Sie dafür gebraucht? Welche Techniken haben Sie angewandt? Und was war mit Abstand das kniffeligste Detail?

Tina Kraus:

Für die erste Version, wie ich sie 2010 als Abschlussarbeit abgegeben habe, habe ich etwa fünf Monate gebraucht, in denen ich auch einige Nachtschichten eingelegt habe. Für das Diplom wollte ich versuchen, möglichst viele unterschiedliche Mechanismen zu zeigen. Einer der schwierigsten war die bauchtanzende Dame, da die vielen kleinen Teile genau zusammenpassen müssen und sich nicht verhaken dürfen, wenn sie ihre Hüften kreisen lässt. 

Konstanze von LESEWEIS® 

Wie geht man bei einem Pop-Up-Buch vor? Ist zuerst die Idee für die Geschichte da? Oder legt man zunächst fest, welche Papierfalttechniken man unbedingt in das Werk einbauen möchte? 

Tina Kraus: 

Da gibt es, denke ich, keinen richtigen oder falschen Weg. Manchmal hat man eine Geschichte im Kopf, die man gerne um eine Ebene erweitern würde, aber manchmal wird man auch durch einen Mechanismus inspiriert und sammelt Ideen, wie man ihn wirkungsvoll einsetzen kann. Daraus können sich sicher auch tolle Geschichten ergeben. 

Konstanze von LESEWEIS® 

Illustration von Kinderbüchern ist eine Sache. Sie haben u.a. die von LESEWEIS® sehr geschätzten Kinderbuchreihen MALUNA MONDSCHEIN (Ellermann) und DIE EARTHGANG (Jacoby & Stuart) illustriert. Papierfalttechnik ist noch einmal etwas völlig anderes. Ist die Papierfalttechnik Ihre bevorzugte Kunst? Sind Sie primär Künstlerin der faltmanufaktur.com, wie Ihre Website heißt? 

Tina Kraus: 

Das kann ich gar nicht genau sagen. Mein Geld verdiene ich zur Zeit vor allem mit Illustration. Aber ich würde gerne auch wieder mehr im Bereich Papierfalttechnik arbeiten. Zur Zeit beschäftige ich mich auch viel mit feinem Krepppapier und was sich daraus alles machen lässt, z.B. naturalistische Blumen, Insekten oder Geckos.

Konstanze von LESEWEIS® 

Ich wundere mich immer wieder, warum nicht viel mehr Kinderbücher in der Zirkuswelt spielen, die einen solchen Fundus an magischen Details, schillernden Figuren, Glimmer und Geheimnissen bietet. War für Sie von Anfang an klar, dass Ihre Abschlussarbeit, Ihr Pop-Up-Buch im Zirkus spielen wird?

Tina Kraus: 

Mich hat schon lange die Zeit um die Jahrhundertwende und die 20er und 30er Jahre fasziniert. Und gerade in der Zirkuswelt haben früher vielleicht auch Menschen, die etwas anders, etwas weniger angepasst waren, einen Platz gefunden. Wobei man die Freakshows natürlich nicht nur romantisieren sollte, denn natürlich wurden dort auch Menschen gegen ihren Willen zur Schau gestellt und ausgenutzt. 

Konstanze von LESEWEIS® 

Alle kreativen Menschen, ob sie nun fingerfertig sind oder nicht, stellen sich die Arbeit an einem solchen Werk wie dem CIRCUS ZINGARO ungeheuer aufwändig vor. Wie so ein Buch schließlich maschinell in den Auflagen-Druck gehen soll, übersteigt unser Vorstellungsvermögen erst recht. Wie schwierig ist es, einen Verlag für ein so komplexes Kunstwerk zu finden? Und wird es CIRCUS ZINGARO eines Tages im Buchhandel zu kaufen geben?

Tina Kraus: 

Die Sache ist, dass auch heute Pop-Up Bücher kaum maschinell gefertigt werden können. Die Lasertechnik bietet zwar neue Möglichkeiten für das Ausschneiden und Vorbereiten der Einzelteile (das Schneiden ist z.B. deutlich feiner möglich als beim Stanzen), aber das Zusammensetzen und Kleben geschieht noch immer von Hand, meistens in darauf spezialisierten Druckereien in Thailand oder Vietnam. 

Daher sind diese Bücher in der Produktion sehr teuer, weshalb es für kleine Verlage kaum möglich ist, Pop-Up Bücher alleine in Auftrag zu geben. Da die Auflagenzahlen recht hoch sein müssen, damit sich so ein Projekt auch rechnet, müssten sich mehrere Verlage zusammentun und das Buch gleichzeitig in mehreren Länder herausbringen. 

Ob es mein Buch tatsächlich irgendwann im Buchhandel geben wird, kann ich noch nicht sagen. Aber ich bleibe dran! 

Konstanze von LESEWEIS® 

Fantastisch! Wir drücken (uns und Ihnen!) die Daumen! Arbeiten Sie derzeit denn an einem weiteren Pop-Up-Buch?

Tina Kraus: 

Vor zwei Jahren habe ich zusammen mit dem Illustrator Florian Biege ein Pop-Up Buch-Konzept entwickelt, an dem ich gerne weiter arbeiten würde. 

Dabei handelt es sich um ein interaktives Theater Pop-Up Buch, in dem die Seiten wie auf einer Bühne die Kulissen bilden. Dazu gibt es herausnehmbare Figuren und ein Geschichten-Heft. So kann man Kindern die Geschichten wie beim Kasperltheater vorspielen oder sich eigene Geschichten ausdenken. Die Idee ist, eine Reihe mit mehreren Themenbüchern zu machen. Das erste Buch hat das Thema ‘Ritterburg’. https://www.faltmanufaktur.com/theatre-pop-up-book/

Konstanze von LESEWEIS® 

Vielen herzlichen Dank für den faszinierenden Einblick in Ihre Arbeit und das nette Gespräch.