Konstanze Keller, LESEWEIS®:
Liebe Cally Stronk, du hast gerade mit dem überaus entzückenden Erstlesebuch LEONIE LOOPING im Ravensburger Verlag eine neue Buchreihe für Leseanfänger eröffnet. Hier genau wie in deinen zauberhaften Geschichten von den MAFFLIES tauchst du ganz tief ein in die Welt der kleinen, kleinen Wesen. Ich meine jetzt nicht die der Kinder, sondern die der noch Kleineren, die eigentlich nur die Kinder kennen. Wie kommt es, dass du dich da so fantastisch auskennst?
Cally Stronk:
Oh, ich weiß gar nicht, ob ich mich wirklich in den kleinen Welten so gut auskenne 😉 Meist fühle ich mich beim Schreiben eher wie die Hauptfigur, die gemeinsam mit einem winzigen Wesen eine neue Welt entdeckt. Oder halt unsere Welt aus einer anderen Perspektive kennenlernt. Das heißt, ich versuche immer neugierig und offen für ungewöhnliche Details zu bleiben. Alles, was anders ist, fasziniert mich: ein Schatten an der Wand, der aussieht wie ein Hund, eine kleine Blume, die durch die Pflastersteine wächst, ein Blatt, das die Form eines Herzens hat … man kann so viele Dinge entdecken, wenn man mit offenem Blick durch die Welt läuft, das ist für mich schön und inspiriert mich.
Konstanze Keller, LESEWEIS®:
Siehst du, und genau das spürt man in deinen Geschichten. Du hast einfach diesen Blick für die Feinheiten dieser Welt und bist dabei, wenn deine Figuren ein kleines Häuschen auf Omas Balkon entdecken, das von Schmetterlingselfen bewohnt ist. Kann es sein, dass du nicht vergessen hast, wie ein Kind zu schauen? Wie ein Kind zu staunen? Und wie ein Kind mit den Schatten an der Wand zu tanzen?
Und glaubst du nicht auch, dass genau das es ist, was deine Geschichten auszeichnet? Wie sehr tauchst du ab, wenn du an einem Kinderbuch schreibst?
Cally Stronk:
Wenn ich mit dem Kopf in einer meiner Geschichten drinstecke, kann ich echt alles um mich herum vergessen. Ich schreib dann so vor mich hin und vergesse komplett die Zeit. Und plötzlich bekomme ich schlagartig Riesendurst und Hunger und muss aufs Klo. Alles gleichzeitig 🙂 Dann merke ich erst wieder, wo ich bin.
Ich glaube um eine gute Kindergeschichte zu schreiben, muss man im Herzen sein inneres Kind bewahren und darf nicht alles so ernst nehmen. Ich meine damit nicht, dass man Kinder nicht ernst nehmen darf – im Gegenteil. Kinder werden oft unterschätzt und nicht für voll genommen. Das ist falsch. Ich nehme Kinder sehr ernst und begegne ihnen auf Augenhöhe. Ihre Meinung ist mir wichtig.
Kinder besitzen eine Freiheit, die viele Erwachsene vergessen haben: staunend durch die Welt zu gehen, neugierig zu sein, Dinge zu entdecken, Fragen zu stellen, Quatsch zu machen, zu spielen, sich auf Fantasiereisen zu begeben, sich selbst nicht so ernst zu nehmen. Ich habe glücklicherweise einen Partner, der da genau so funktioniert wie ich und mit dem ich jeden Quatsch machen kann. Das ist ganz wunderbar. Wir kommen manchmal auf die schrägsten Ideen und lachen uns kaputt. Und ganz nebenbei arbeiten wir. Was nicht heißt, dass es keine Arbeit ist, ein Kinderbuch zu schreiben. An der Welt von LEONIE LOOPING sind die Illustratorin Constanze von Kitzing und ich jetzt seit Frühjahr 2013 dran. Vier Jahre! Und im letzten Jahr habe ich jeden Tag mehrere Stunden an LEONIE LOOPING gearbeitet. Es ist ein richtig großer Haufen Arbeit, aber es macht Riesenspaß. Da gehört natürlich noch viel mehr dazu als „nur“ die Geschichte zu schreiben. Ich gebe Feedback zu den Bildern, überlege mir gemeinsam mit Constanze Bildwitze, checke Poster, Autogrammkarten, Leseproben, Cover…, lese Korrektur, spinne an weiteren Geschichten, bereite Lesungen vor etc. Derzeit schreibe ich an der vierten Geschichte von Leo. Die dritte ist bereits fertig gezeichnet und muss jetzt nochmal feinkorrigiert werden. Du sieht, es wird nie langweilig bei uns 😉
Konstanze Keller, LESEWEIS®:
Wow – das wäre meine nächste Frage gewesen… Wie lange man an einer ja insgesamt doch eher kurzen Geschichte arbeitet. Vier Jahre ist unglaublich! Erstlesebücher zeichnen sich ja gerade dadurch aus, dass sie an Menge, Stoff und Wortschatz die jungen Leser nicht überfordern sollen. Aber genau das unterschätzen wohl die meisten. In Kürze eine schöne, erfüllende und auch noch spannende Geschichte zu umfassen, ist Feinstarbeit, am ehesten vergleichbar mit der Präzisionsarbeit an einer mechanischen Uhr. Eine Arbeit, die euch beiden wunderbar gelungen ist. Constanze von Kitzing hat die LEONIE-LOOPING-Bücher so illustriert, dass Leser, denen das Buchstabieren noch schwerfällt, im Betrachten der herrlichen Bilder schon eine erste große Freude an dem Buch haben. Bilder, die neugierig auf deine Geschichte machen. Bilder, die so herrlich erzählen wie deine Worte. Ich glaube euch die 4 Jahre auf’s Wort!
Wie sehr hast du am Wortschatz feilen müssen? So weit ich weiß, geben die Verlage für Erstlesebücher da große Vorgaben, was den Schwierigkeitsgrad des Wortschatzes betrifft. Ich stelle es mir besonders schwer vor, eine schöne Geschichte nur mit ganz einfachen Wörtern und in extra kurzen Sätzen zu erzählen. Was man den meisten (leider sehr dürftigen) Erstlesebüchern anmerkt, die in Folge zwar leicht zu lesen sind, aber keinerlei Lust auf Lesen machen. Bei LEONIE LOOPING ist das ganz anders. Die Geschichte sprüht und funkelt. Trotz einfachen Wörtern. Wie hast du das hinbekommen?
Cally Stronk:
Die Hauptarbeit war erstmal die Entwicklung der Storywelt. Also sich zu überlegen, welche Figuren in der Geschichte mitspielen, wie sie so drauf sind, was sie mögen, was sie nicht mögen, wovor sie vielleicht Angst haben und wo sie leben etc. Wir mussten uns fragen, wie eine Schmetterlingselfe überhaupt lebt, wie sie entsteht … Und überlegen, welche Abenteuer es in dieser Welt mit diesen Figuren geben könnte.
Ich mache mir da einen richtigen Plan. Erst grob und dann immer feiner. Der Text ist dann nur die Spitze des Eisberges. Ihn zu schreiben geht dann am Ende relativ schnell.
Der Verlag hat dann auch nicht mehr allzu viel eingegriffen. Marion Dywiack, meine Lektorin bei Ravensburger, schaut hauptsächlich nach Stolpersteinen, also Wörtern, die für die Zielgruppe vielleicht noch zu kompliziert sind und die man oft durch etwas einfachere ersetzen kann: zum Beispiel verwenden wir das Wort „Blumentopf“ statt „Blumenkübel“. Und wir haben das Wort „WOW“ gestrichen, weil es sich doch wörtlich als „WOFF“ liest. Sowas wird man sich oft erst beim genaueren Hinlesen bewusst. Aber dafür hat man ja auch einen guten Verlag als Partner. Manche Wörter lasse ich aber auch mit Absicht drinnen. Im zweiten Band gibt es einen „tausendjährigen Schrumpferbsenstrauch“ – da muss man dann durch 😉
Natürlich gehe ich auch immer wieder über den Text rüber und schleife ihn wieder und wieder. Ich schaue, wo er noch witziger geht, wo noch pointierter, ob alles glaubwürdig ist.
Ich hatte anfangs viel zu viele Zeichen und musste ganz schön wegstreichen. Ich finde das aber nicht schlecht, weil so auch immer mehr die Essenz der Geschichte herauskommt und jedes überflüssige Wort, jedes Füllwort wegfällt.
Für Leonie galten zum Glück nicht ganz so strenge Erstleser-Regeln. Der Verlag hat uns sozusagen erlaubt, aus der Reihe zu flattern 😉
Konstanze Keller, LESEWEIS®:
Das ist großartig – und das bekommt dem Buch auch ganz wunderbar. 🙂 Du hast völlig recht, Erstleser lieben es meiner Erfahrung nach sehr, sich mal durch ein ellenlanges Wort durchzuschaffen. Sie platzen dann geradezu vor Stolz, wenn sie es geschafft haben. Das und eine schöne Geschichte und liebenswerte Helden macht ein erstes Buch zu einer tollen Leseerfahrung. Und motiviert zu weiterem Lesen. Du arbeitest mit Illustratorin Constanze folglich auch ganz eng zusammen, ja? Ihr habt die kleine große Welt von Leonie und ihren flatternden Freunden gemeinsam entwickelt? Das würde erklären, warum beides so schön harmoniert. Wart ihr euch von Anfang an einig, wie zum Beispiel eure „Mädchen“ aussehen sollen? Lebt ihr nah genug beisammen, dass ihr der anderen jeweils über die Schulter schauen könnt? Oder sind umständlichere Wege nötig?
Cally Stronk:
Constanze und ich arbeiten von Anfang an sehr eng an der Geschichte. Sie lebt in Köln, ich in Berlin. Wir haben sozusagen eine Fernbeziehung, also beruflich gesehen.
Wir telefonieren fast jeden Tag, manchmal auch mehrmals. Aber wir sehen uns auch zwei-/dreimal pro Jahr auf den Buchmessen und ich besuche sie in Köln. So sind wir auch sehr gute Freundinnen geworden.
Es hat anfangs ziemlich lange gedauert, bis die Figuren standen. Die erste Schmetterlingselfe war viel viel jünger.
Der Verlag meinte dann, Leo muss älter werden. Constanze hat auch sehr viel bei den Frisuren und der Kleidung ausprobiert. Die Farben müssen ja miteinander harmonieren und sich trotzdem vom Hintergrund abheben. Sie hat Farben dazu- und wieder weggenommen, bis wir schließlich bei den Leo-Farben gelandet sind.
Hier mal ein Bild von der ersten Leo und eins wie Leo jetzt aussieht. Man sieht, die Zöpfchen sind geblieben und die Farbe des Kleides auch. Aber Leo ist um einiges älter geworden. Sie ist jetzt ein richtiges Mädchen.
Konstanze Keller, LESEWEIS®:
Oh, das ist ja unglaublich interessant. Wie schön, dass du uns einen so detaillierten, ausführlichen Einblick in eure Arbeit gibst. Eine Arbeit, in der alles durchdacht ist, in der viel Zeit und auch viel Freude, Freundschaft und Spaß steckt – was man tatsächlich auch spürt. Das habt ihr aber sicher nicht nur für ein oder zwei Bücher gemacht? Wie groß ist die Serie um Leo und ihre winzigen Freunde denn geplant? Bleibt es bei Erstlesebüchern oder steigert ihr auch den Leseanspruch? Wächst Leo mit ihren Lesern mit? Werden wir sie nicht nur in den Sommerferien, sondern auch zu anderen Jahreszeiten treffen, Weihnachten mit ihr feiern… oder will ich jetzt viel zu geheime Dinge wissen? 🙂
Cally Stronk:
Also, sicher sind schon mal die ersten vier Geschichten um Leo und ihre Freunde. Der dritte Band wird sehr spannend und rasant, es ist ein Rennen/Fliegen gegen die Zeit. Er erscheint in diesem Herbst und ist schon so gut wie fertig. Im Frühjahr 2018 wird’s dann wieder detektivischer, mehr wird dazu noch nicht verraten 😀 Wir hoffen natürlich, dass es danach weiter geht.
Thematisch sind wir da sehr offen und einiges wurde schon im Vorfeld angedacht. Uns war halt nur wichtig, dass in jedem Band auch ein Umweltthema vorkommt, dass wir Werte vermitteln, Geschichten mit Substanz schreiben. Aber natürlich ist es auch spannend, Geburtstag mit den Elfen zu feiern und Weihnachten … Mal sehen, wie sich das alles entwickelt. Ob Leo wächst oder schrumpft. Vieles ist möglich 😉
Konstanze Keller, LESEWEIS®:
Liebe Cally, das hört sich alles sehr, sehr schön an. Wir lieben, was schon da ist. Wir freuen uns auf das, was kommt, und werden Leonie Looping und ihre Freunde hoffentlich sehr lange begleiten. Tolles Buchprojekt, zwei wunderbare Frauen, die daran arbeiten. Bitte gib beim nächsten Telefonat auch Constanze von Kitzing die besten Grüße von uns durch. Eine einzige Frage noch: du bist als die Autorin mit der Ukulele bekannt… Ist das wirklich eine Ukulele oder in Wirklichkeit eine kleine Gitarre, die du aus der Welt der kleinen Wesen mitgebracht hast?
Cally Stronk:
Hihi, ich lasse die Kinder in meinen Lesungen oft erraten, welches Instrument ich da mit gebracht habe. Die Antworten sind vielfältig: „Eine Geige!“, rufen die Kinder. Und: „Eine Gitarre!“ „Eine Mandoline“, hab ich auch schon gehört. Ich frage die Kinder dann, ob sie sich sicher sind, dass das kein Klavier ist. Da sind sie dann ganz empört. Einige Kinder kennen auch eine Ukulele. Das freut mich immer sehr. Ich erkläre dann, dass eine Gitarre sechs Saiten hat und eine Ukulele nur vier. Aber dass eine Ukulele natürlich so aussieht wie als hätte man eine Gitarre in einer Waschmaschine zu heiß gewaschen und sie ist dann eingelaufen.
Konstanze Keller, LESEWEIS®:
Tja, und wir bei LESEWEIS® haben das Geheimnis nun natürlich gelüftet! 🙂
1. Es ist kein Klavier.
2. Es ist nicht in der Waschmaschine eingegangen.
3. Du kennst dich eben doch besser in der Welt der kleinen Wesen aus als du hier zugeben kannst und hast dort sogar dankbare musikalische Freunde. 🙂
Liebe Cally, besten Dank für dieses wunderbare Gespräch mit so vielen Einblicken in deine Arbeit. Wenn wir noch einen Wunsch äußern dürfen: Bleib und schreib so fröhlich weiter, so intensiv und so detailverliebt. Die Kinder und wir danken es dir!
Cally Stronk:
Dank dir, liebe Konstanze! Ich freu mich sehr, dass LEONIE LOOPING dir gefällt und hoffe die Kinder sind ebenso begeistert 🙂
Ein Gedanke zu „Cally Stronk im Gespräch mit Konstanze Keller“