von Anette Rehfuss
Vollgepackt stehe ich unter der Lichterkette vor dem Kaufhaus in der Heidelberger Fußgängerzone. Jetzt habe ich mir einen Glühwein auf dem Weihnachtsmarkt verdient, denke ich und schon kurz darauf entspanne ich am Glühweinstand bei der Pyramide vor der Heilig-Geist-Kirche.
Während ich noch in Gedanken die Geschenkeliste durcharbeite und überlege, ob ich auch wirklich für fünf Enkel, die nette Briefträgerin und den hilfsbereiten Kollegen ausreichend fündig geworden bin, kommt eine junge Frau auf mich zu. Sie lächelt mich an und streckt mir ein Päckchen entgegen. „Für Sie, von meinem Adventskalender!“ Dabei drückt sie mir den kleinen Karton in die Hand und verschwindet in der Menge, bevor ich noch etwas sagen kann.
Verdutzt, aber auch neugierig, bleibe ich zurück. Ich entschließe mich, das Päckchen zu öffnen. Darin finde ich, sorgsam verpackt, eine ganz und gar alltägliche Tasse, mit leicht zerkratzter Glasur und typischen Gebrauchsspuren. Im Innern der Tasse steckt ein Zettel. Ich entfalte ihn und lese: Adventskalender vom 8. Dezember: Verschenke etwas, wovon du zu viel hast. Dinge, die man besitzt, aber nicht nutzt, können belastend sein.
Verwundert drehe ich die Tasse in meiner Hand und denke dabei an die Worte der jungen Frau. „Für Sie, von meinem Adventskalender!“, hatte sie gesagt. Was mag das wohl für ein Adventskalender gewesen sein? Einer, der zum Verschenken auffordert, zum Weggeben anstelle von Ansammeln, gegen Konsumerwartung und Besitzvermehrung – sozusagen ein Adventskalender, der die gewohnte Tradition auf den Kopf stellt.
Da sehe ich, wie die Tasse unter der Weihnachtsmarktbeleuchtung einen Schatten auf meine Einkaufstüten wirft. Ein Schatten wie ein Fragezeichen. Gleichzeitig erahne ich die Umrisse einer Tür in eine andere Welt. Diese Welt fasziniert mich, zieht mich an. Die Tasse in meiner Hand ist der Kompass und Wegweiser. Ich beschließe, mich ihr zu nähern.